Teure Verbrauchsmaterialien gesondert berechnen?

Preise auf den Prüfstand stellen

Die Berechnung von Verbrauchsmaterialien in der zahnärztlichen Gebührenordnung hatte mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. Mai 2004 eine einschneidende Veränderung erfahren: Dem Ansatz von Lagerhaltungskosten fehlt seither die rechtliche Grundlage, der gesonderte Ansatz vieler zahnärztlicher Verbrauchsmaterialien wurde deutlich reglementiert.


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Der Verordnungsgeber ging mit der Novellierung der GOZ vor gut fünf Jahren so weit, dass die unverminderte Aktualität dieses Urteils beispielsweise mit der Regelung der Lagerhaltungskosten in § 4 Abs. 3 der Gebührenordnung eine deutliche Reflexion fand. Was blieb, war der Eindruck, dass die Kosten für angefallene Verbrauchsmaterialien in der Regel mit der erbrachten Leistung abgegolten seien, es sei denn, das Gebührenverzeichnis im Anhang zur GOZ formuliert dezidiert zum jeweiligen GOZ-Abschnitt oder zur jeweiligen Leistung eine abweichende Regelung (Allgemeine Bestimmung, Berechnungsbestimmung).

Doch wie alle anderen Bereiche des täglichen Lebens wird auch die Zahnmedizin von innovativen Produkten überschwemmt. Unabhängig von ihrer Wirksamkeit und Alltagstauglichkeit, aber auch von ihrem möglicherweise hohen Nutzen steht in Zahnarztpraxen vor allem ein Kriterium im Fokus der Betrachtung, der Preis. Denn während die Bewertung zahnärztlicher Honorare in weiten Teilen der GOZ im Vergleich zur vorangegangenen Gebührenordnung aus dem Jahre 1987 unverändert blieb, stiegen die Preise für zahnärztliches Verbrauchsmaterial unaufhaltsam.

Preisentwicklung in der Prophylaxe

Wenn man in der Prothetik oder Implantologie diese Preisentwicklung aufgrund der bestehenden Berechnungsgrundlagen noch relativ gelassen sehen kann, wird sie in anderen Bereichen wie der Prophylaxe immer mehr zum Ärgernis. Wer die Preisentwicklung etwa für Chlorhexidin- oder Fluoridpräparate mit ihren Produktneuentwicklungen über einen längeren Zeitraum verfolgt und an den Innovationsprozessen teilhaben möchte, muss zwangsläufig die bisher praktizierte Berechnung der Prophylaxebehandlung in der eigenen Praxis auf den Prüfstand stellen.

Mitunter gerät in Vergessenheit, dass gerade das eingangs zitierte BGH-Urteil eine nicht unwichtige weitere Botschaft enthält. Der BGH stellte darin nämlich fest, dass die Materialkosten in der Regel in der Gebühr nach GOZ enthalten sind und ein gegebenenfalls „objektiv festzustellendes Regelungsdefizit dahin gehend zu schließen ist, dass so ins Gewicht fallende Kosten von Einmalwerkzeugen in erweiterter Auslegung der Allgemeinen Bestimmungen, die 75 Prozent der betreffenden (2,3-fachen) Gebühr aufzehren … gesondert berechnet werden dürfen.“

Regelungsdefizit

Schaut man sich die derzeit geltende GOZ an, ist das 2004 höchstrichterlich bestätigte „Regelungsdefizit“ bis heute nicht annähernd geschlossen. Aufmerksamen Materialeinkäufern in der Praxis sollte jedoch die sogenannte „Unzumutbarkeitsregelung“ des BGH-Urteils geläufig sein. Zum Tragen kommt sie beispielsweise bei der Behandlung überempfindlicher Zähne nach GOZ-Ziffer 2010. Mit dem 2,3-fachen Satz werden 6,47 Euro Honorar generiert (für die Berechnung je Kiefer). Werden nun mehrere Zähne in einem Kiefer mit einem innovativen Fluoridpräparat therapiert, können die anfallenden Materialkosten 75 Prozent oder mehr dieses generierten Honorars durchaus aufzehren.
Ein weiteres Beispiel ist die in der Prophylaxe häufig anfallende Oberflächenanästhesie nach Nr. 0080 GOZ. Ein verbrauchtes Oberflächenanästhetikum ist gemäß § 4 (3) GOZ im Unterschied zum Anästhetikum bei Infiltrations- und Leitungsanästhesie nicht gesondert berechnungsfähig.

Wie AnästhesieGel berechnen?

Nun findet seit geraumer Zeit das Material Oraqix immer mehr Verwendung unter anderem bei der Durchführung professioneller Zahnreinigungen oder Nachbehandlungen nach Parodontaltherapien. Unter diesem Markennamen wird ein gelartiges Oberflächenanästhetikum in einer Karpulenverpackung vertrieben, das eine Oberflächenanästhesie durch Auftragen auf die Schleimhaut erzeugt. Auch in Parodontaltaschen kann dieses Präparat per Diffusion Wirkung seine entfalten. Die Anwendung von Anästhesiegel zur Oberflächenanästhesie wird nach Nr. 0080 GOZ berechnet, laut Kommentar „Schnittstellen BEMA – GOZ“ der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) ist eine Vereinbarung dieser Leistung auch mit einem gesetzlich versicherten Patienten möglich. Ein analoger Ansatz ist aber unzutreffend, da es sich nicht um eine (neue) Leistung handelt und sie weder in der GOZ noch in der GOÄ beschrieben wäre.

Bahn frei für Material-Fortschritte

Da Oraqix jedoch relativ hochpreisig angeboten wird und ohne Mühe für bis zu acht Zähne in einer Kieferhälfte ein Karpuleninhalt verbraucht ist, kommt auch in diesem Fall die erwähnte Unzumutbarkeitsregelung des BGH-Urteils zum Tragen, denn es wird die Durchschnittsgebühr nach Nr. 0080 GOZ in Höhe von 3,88 Euro zu über 75 Prozent (ab 2,91 Euro) vom dazu verbrauchten Oberflächenanästhetikum aufgezehrt. Auf diese Berechnung des Verbrauchsmaterials „Oberflächenanästhetikum Oraqix“ hat sich mit Beschluss vom 16. Juni 2014 das Beratungsforum der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV) und der Beihilfe verständigt, das heißt, die PKV/Beihilfe will das Material erstatten.
Dieser Beschluss trägt der dynamischen Entwicklung neuartiger dentaler Verbrauchsmaterialien und ihrer Anwendung Rechnung und lässt die Zahnmedizin auch in dieser Hinsicht offen für materialtechnischen Fortschritt. Er zeigt aber auch, dass es eine abschließende Liste an möglichen berechnungsfähigen Verbrauchsmaterialien nicht geben wird und auch nicht geben sollte, denn neue Materialien kommen ja laufend dazu.

Steffi Scholl
ist Abrechnungsspezialistin und arbeitet seit 2011 bei der ZA Zahnärztlichen Abrechnungsgesellschaft AG in Düsseldorf in der GOZ-Fachabteilung.
sscholl@zaag.de