Den tatsächlichen Bedarf kritisch prüfen
Wer eine eigene Zahnarztpraxis führt, trägt viel Verantwortung und so manches Risiko. Entsprechend wichtig ist die bedarfsgerechte Absicherung. Lesen Sie, worauf es ankommt.
Prophylaxe ist ein Dauerthema für die gut 72.000 praktizierenden Zahnärzte in Deutschland. Aber wie steht es um die eigene Vorsorge, wenn es um Ernstfälle in der Praxis geht? Niedergelassene Zahnärzte tragen ein unternehmerisches Risiko und als Mediziner zudem ein hohes Maß an Verantwortung. Da gilt es, die speziellen Risiken im Praxisalltag richtig abzuschätzen und gegebenenfalls abzusichern.
Die wichtigste Versicherung für jeden Arzt ist die Berufshaftpflicht. Sie kommt für Schäden auf, die zum Beispiel einem Patienten im Rahmen der Behandlung entstehen können. Das reicht von Reinigungskosten für ein beschmutztes Kleidungsstück bis hin zu schweren gesundheitlichen Schäden aufgrund einer Fehlbehandlung. Gerade bei Personenschäden können Schadenersatzforderungen für den Verursacher existenzbedrohend werden. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und schreibt seit 2021 deshalb im § 95 des Sozialgesetzbuch V ausdrücklich vor, dass niedergelassene Ärzte sich „ausreichend gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren zu versichern“ haben. Selbst das Minimum an Deckungssumme ist dort geregelt: Demnach müssen drei Millionen Euro für Personen- und Sachschäden für jeden Versicherungsfall gedeckt sein.
Haftung ein Leben lang
In Deutschland ist die Haftung für Schäden jedoch weder in der Höhe noch in der Dauer begrenzt. Als Arzt haften Sie im Ernstfall mit ihrem gesamten Vermögen und unter Umständen ein Leben lang; möglicherweise etwa, wenn ein Patient durch Narkoseschäden berufsunfähig wird. Deshalb raten Experten, eine möglichst hohe Deckungssumme zu vereinbaren. Die Mindestdeckung von drei Millionen Euro reicht heute einfach kaum noch aus. Zudem sind Deckungen von fünf Millionen und mehr meist schon für wenige Euro extra pro Monat zu bekommen. Auch für langjährige Praxisinhaber ist es empfehlenswert, regelmäßig zu überprüfen, ob Deckung und Konditionen ihrer Praxishaftpflicht noch heutigen Anforderungen entsprechen. Wichtig außerdem: Die Praxishaftpflichtversicherung deckt in der Regel das gesamte Praxispersonal mit ab und außerdem auch Schadenersatzansprüche von Mitarbeitern, Dienstleistern, Vermietern oder anderen Dritten.
Vorsicht beim Zeitwert
Keine gesetzliche Pflicht, aber doch ein absolutes „Muss“ ist die sogenannte Inhalt- oder Praxisinventarversicherung. Sie deckt Schäden an Einrichtung, Geräten und Material, die zum Beispiel durch Feuer, Einbruch, Leitungswasser, Sturm, Hagel oder sonstige Elementarschäden entstehen. Eine komplett neue Praxiseinrichtung kann leicht mehrere Hunderttausend Euro kosten. Außerdem können Patientenakten und Buchhaltungsunterlagen zerstört werden, zu deren Wiederherstellung Sie als Praxisinhaber rechtlich verpflichtet sind. Da gilt es vorab den individuellen Bedarf anhand der eigenen Einrichtung und realistischer Gefahren zu ermitteln, um dann eine passgenaue Absicherung zu erhalten. Und noch ein Tipp: Achten Sie unbedingt auf die Neuwertdeckung, denn eine Versicherung, die bei älteren Geräten nur den Zeitwert eines zerstörten Behandlungsstuhls oder Röntgengeräts abdeckt, bringt im Ernstfall wenig.
Nur bedingt empfehlenswert sind dagegen sogenannte Technische Versicherungen wie Elektronikversicherungen, die etwa Störungen und Defekte an Geräten auch durch unsachgemäße Bedienung abdecken. Diese Policen gibt es einzeln oder im Paket mit Inventarversicherungen. Da sollte jeder genau seinen Bedarf prüfen im Hinblick auf: Welche Ausfälle wären problematisch, welche ließen sich schnell beheben oder überbrücken? Für geleaste Geräte zum Beispiel enthält der Leasingvertrag möglicherweise schon eine Versicherung oder den Anspruch auf ein Leihgerät. Wer gute Erfahrungen mit dem Kundendienst hat oder verlängerte Garantielaufzeiten, der braucht vielleicht keine weitere Absicherung.
Im Visier der Hacker
Dringend zu empfehlen ist dagegen eine Versicherung gegen Schäden durch Cyberkriminalität. Die sollte den Betroffenen im Fall der Fälle außerdem praktische Hilfe und Beratung an die Seite stellen. Dazu haben gute Versicherer heute eigene Experten oder kooperieren mit spezialisierten Dienstleistern, die rund um die Uhr telefonisch erreichbar sind. Denn die IT ist heute Herz und Hirn moderner Zahnarztpraxen. Sie handhabt alle für den Betrieb relevanten und zudem viele besonders geschützte personenbezogene Daten – vom Terminsystem bis zum digitalen Röntgenbild. Erst im vergangenen Jahr hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung erneut vor der wachsenden Gefahr speziell für Arztpraxen etwa durch Ransomware gewarnt. Mit solchen Schadprogrammen sperren Kriminelle fremde Computer, um dann Lösegeld für die Freigabe der Daten zu fordern. Gerät eine Praxis in diese Situa‧tion, braucht sie Experten, die sofort helfen und gegebenenfalls noch Schlimmeres verhindern können.
Egal ob Wasserschaden oder Hackerangriff – steht der Praxisbetrieb im Schadenfall zeitweise still, können die weiterlaufenden Kosten etwa für Miete, Gehälter und Kredite den Inhaber unter Umständen in Bedrängnis bringen. Ähnliches gilt, wenn Sie als Inhaber selbst ausfallen, etwa wegen Krankheit oder eines Unfalls. Um solche Ausfälle zu decken, gibt es die Betriebsausfall- und die Inhaberausfallversicherung. Tipp: Wer Absicherung will, sollte sie möglichst genau an den konkreten Umsätzen bemessen. Als Unternehmer muss man sich aber auch fragen, wie groß das persönliche Absicherungsbedürfnis wirklich ist. Ein Ausfall von wenigen Wochen zum Beispiel gehört zum normalen Unternehmerrisiko, für das man ohnehin Rücklagen bilden sollte.
Sinnvolle Ergänzung
Anders sieht es aus bei der persönlichen Berufsunfähigkeit. Die trifft in Deutschland immerhin jeden vierten Arbeitnehmer irgendwann im Berufsleben. Zwar sind Zahnärzte grundlegend über das jeweilige Versorgungswerk ihrer Kammer abgesichert. Aber deren Abdeckung reicht selten über ein absolutes Minimum hinaus. Die Leistungen fließen zum Beispiel erst ab 100 Prozent Berufsunfähigkeit. Geld bekommt demnach nur, wer den Zahnarztberuf vollständig und endgültig aufgibt. Die meisten privaten Policen greifen dagegen schon ab 50 Prozent Berufsunfähigkeit und erlauben sowohl ein reduziertes Weiterarbeiten als auch den späteren Wiedereinstieg. Auch reichen die tatsächlichen Leistungen der Pflichtvorsorge selten, um den Lebensstandard zu halten. Privat vorzusorgen lohnt sich in jedem Fall. Das gilt zwar für fast alle Berufsgruppen, aber weil der Zahnarztberuf sowohl feinmotorisch als auch mental hohe Ansprüche stellt, ist das Risiko einer Berufsunfähigkeit nicht zu unterschätzen.
Eine betriebliche Rechtsschutzversicherung kann für Zahnarztpraxen ebenfalls sinnvoll sein, denn die Klagefreudigkeit nimmt auch in Deutschland stetig zu. In der Zahnmedizin geht es neben dem medizinisch Notwendigen oft auch um ästhetische Fragen, die zum Rechtsstreit zwischen Patient und Arzt ausufern können. Zudem sind die klammen Sozialkassen immer öfter bestrebt, Haftung einzuklagen. Als Praxisinhaber ist man zudem vielfacher Vertragspartner – nicht nur gegenüber Patienten, sondern auch privaten und gesetzlichen Krankenkassen, Banken, Geräteherstellern, Lieferanten, Vermietern, Laboren und anderen Dienstleistern. Dennoch gilt auch da meine Empfehlung, den tatsächlichen Bedarf kritisch zu prüfen. Die Betriebshaftpflicht deckt einen wichtigen Teilbereich bereits ab, indem sie unberechtigte Schadenersatzforderungen abwehrt. Die Rechtsschutzversicherung dient dann eher dazu, eigene Ansprüche gegen Dritte durchzusetzen. Wie sehr man solche Eventualitäten absichert, ist jedoch letztlich immer eine unternehmerische Entscheidung.
Andreas Reinhold
Experte für betriebliche Absicherung bei SIGNAL IDUNA
Andreas.Reinhold@Signal-Iduna.de