Kinderzahnärztin – nein! Kinderzahnarztpraxis – ja!

Die Werbung mit dem Begriff „Kinderzahnärztin“ in Verbindung mit der Bezeichnung „Kieferorthopädin“ sowie die Bezeichnung einer Praxis als „Praxis für Kinderzahnmedizin“ sind unzulässig (BGH, Urt. v. 07.04.2022 – I ZR 5/21). Hingegen ist die Werbung mit der Angabe „Kinderzahnarztpraxis“ nicht irreführend und damit zulässig (BGH, Urt. v. 07.04.2022 – I ZR 217/20).



Wo aber ist der Unterschied, und warum kommt das Gericht bei so ähnlichen Begriffen zu diametral unterschiedlichen Ergebnissen?

Fall I – „Kinderzahnärztin, Kieferorthopädin“
Im ersten Fall hatte sich eine Zahnarztpraxis in der Form eines ZMVZ auf ihrer Website als „Praxis für Kinderzahnmedizin & Kieferorthopädie“ bezeichnet. Auf der Teamseite der Website wurden die Zahnärzte mit „Unsere Kinderzahnärzte“ vorgestellt. Die Praxis veröffentlichte ferner einen Imagefilm auf YouTube, in dem die beklagte Zahnärztin, die auch Gesellschafterin des ZMVZ ist, als „Kinderzahnärztin, Kieferorthopädin“ vorgestellt wurde. Die Praxis verfügte nur über eine im Umfang von 20 Wochenstunden tätige Fachzahnärztin für Kieferorthopädie.
Die Zahnärztekammer als Berufsaufsichtsbehörde beanstandete den Imagefilm und mahnte das ZMVZ und die Zahnärztin erfolglos ab. Die Beklagten wurden nach Klageerhebung vom Landgericht (LG) Düsseldorf unter Androhung eines Ordnungsmittels verurteilt, es zu unterlassen, die oben genannten Bezeichnungen geschäftlich handelnd zu bewerben. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf, soweit es um die Bezeichnung „Unsere Kinderzahnärzte“ und um die Klage gegen die Zahnärztin selbst ging. Im Übrigen bestätigte er das Urteil.

Begriff „Kinderzahnärztin“ im Zusammenhang mit „Kieferorthopädin“ irreführend
Die entscheidende Frage des Urteils war, ob mit der gewählten Bezeichnung eine irreführende geschäftliche Handlung vorgenommen wurde. Die Handlung muss dazu geeignet sein, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Eine geschäftliche Handlung sei irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Umstände enthalte, wozu auch solche über die Person, Eigenschaften oder Rechte des Unternehmers zählten. Eine Irreführung liege vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimme. Für die Frage, wie Werbung verstanden werde, sei auf den durchschnittlich informierten, verständigen Verbraucher abzustellen. Die Berufsordnung der ZÄK Nordrhein erlaube die Ausweisung eines Tätigkeitsschwerpunktes nur personenbezogen, sofern besondere Kenntnisse und Fähigkeiten sowie eine nachhaltige mindestens zweijährige Tätigkeit in dem fachlich anerkannten Teilbereich nachgewiesen würden. Der ausgewiesene Tätigkeitsschwerpunkt müsse in derselben Schriftgröße mit dem Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt“ versehen werden.
Der BGH entschied, dass die Bezeichnung der Zahnärztin als „Kinderzahnärztin, Kieferorthopädin“ beim durchschnittlichen Verbraucher zu Verwirrungen führe. Dieser kenne den Begriff „Kieferorthopäde“ und stelle sich darunter einen Zahnarzt vor, der über eine besondere, gegenüber staatlichen Stellen nachgewiesene Zahnheilkundequalifikation verfügt. Insbesondere die Kombination beider Begriffe könne bei den Verbrauchern zu der Fehlvorstellung führen, dass die Zahnärztin auch eine staatlich nachgewiesene Qualifikation in der Kinderzahnheilkunde habe, die aber nicht existiert. Obwohl die Zahnärztin über die tatsächlichen Voraussetzungen zum Führen des Tätigkeitsschwerpunktes Kinderzahnheilkunde verfügte, sah das Gericht insbesondere in der Kombination mit der Fachzahnarztbezeichnung Kieferorthopädin eine Irreführungsgefahr. Auch die Bezeichnung als „Praxis für Kinderzahnmedizin“ stelle auf eine bestimmte Art der Zahnheilkunde ab und rücke damit eine besondere fachliche Qualifikation der Zahnärzte in den Vordergrund.
Offen ist, ob die isolierte Bezeichnung als Kinderzahnärztin zulässig ist. Das OLG hatte eine Irreführungsgefahr insoweit in Betracht gezogen, jedoch keine ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen getroffen, sodass der BGH die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Einiges spricht dafür, dass das Berufungsgericht die isolierte Bezeichnung als Kinderzahnärztin jedenfalls dann für irreführend halten könnte, wenn keine Klarstellung erfolgt, dass es sich um einen Tätigkeitsschwerpunkt handelt. Sodann wird man darauf abstellen müssen, ob die betreffenden Zahnärzte nach ihrer Qualifikation berechtigt sind, diesen zu führen.
So ist nach der berufsgerichtlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, Urt. v. 25.05.2012 – 13 A 1399/10) die Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ jedenfalls dann nicht zulässig, wenn der betreffende Zahnarzt nicht mindestens die Anforderung an einen Tätigkeitsschwerpunkt in der Kinderzahnheilkunde erfüllt. Der Begriff Kinderzahnarzt aber, so das OVG, sei keine Täuschung über das Führen einer nach der Berufsordnung nicht vorgesehenen Fachzahnarztbezeichnung.

Fall II – „Kinderzahnarztpraxis“
Hier war die Beklagte eine in Einzelpraxis niedergelassene Zahnärztin. Auch hier beanstandete die Zahnärztekammer die Werbung für die Praxis der Beklagten. Kern der Beanstandung war der Auftritt unter Verwendung der Angabe „Kinderzahnarztpraxis“.
Das Landgericht Düsseldorf hatte der Klage der Zahnärztekammer stattgegeben und die beklagte Zahnärztin verurteilt. In der Berufung hatte das OLG Düsseldorf das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Der BGH bestätigte dies in der nachfolgenden Revision.

Begriff „Kinderzahnarztpraxis“ nicht irreführend
Das OLG hatte ausgeführt, dass die angesprochenen Verkehrskreise bei einer Werbung mit der Angabe „Kinderzahnarztpraxis“ erwarten, dass die Ausstattung der Praxis kindgerecht ist und die dort tätigen Zahnärzte für die Belange von Kindern aufgeschlossen sind, aber nicht davon ausgehen, dass diese über besondere fachliche Kenntnisse im Bereich der Kinderzahnheilkunde verfügen. Dies hat der BGH revisionsrechtlich nicht beanstandet.
Die Angabe „Kinderzahnarztpraxis“ täusche nicht über die Person oder Befähigung des Werbenden. Vielmehr verstünden die angesprochenen Verkehrskreise die Angabe so, dass in der Praxis zahnärztliche Leistungen angeboten würden, wie sie in jeder Zahnarztpraxis zu finden seien, die Zahnärztin aber darüber hinaus eine besondere Bereitschaft mit sich bringe, Kinder mit ihren besonderen emotionalen Bedürfnissen zu behandeln. Darüber hinaus hätten sie die Erwartung, dass die Praxiseinrichtung kindgerecht sei. Sie hätten aber nicht die Vorstellung, dass die Behandler über besondere fachliche Kenntnisse der Zahnheilkunde verfügten, die ein normaler Zahnarzt nicht habe oder die gar erst im Rahmen einer umfassenden Weiterbildung erworben werden müssten, an deren Ende eine staatliche Prüfung stehe.
Die Bezeichnung „Kinderzahnarztpraxis“ stelle auch deshalb keine Irreführung dar, weil der Bezug zu Kindern allein in der Praxisbezeichnung vorhanden sei und kein personaler Bezug zum Arzt hergestellt werde.

Praxistipp
Der BGH begibt sich mit den beiden Urteilen auf eine Gratwanderung. Während die isolierte Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ möglicherweise erlaubt ist, ist sie es in Kombination mit der Fachzahnarztbezeichnung Kieferorthopädin jedenfalls nicht. Die Bezeichnung als „Praxis für Kinderzahnmedizin“ ist irreführend und damit unzulässig aber die Bezeichnung als „Kinderzahnarztpraxis“ ist zulässig.
Der entscheidende Unterschied zwischen den Sachverhalten und den Bezeichnungen ist also, dass einerseits zahnarztbezogen (Kinderzahnärztin) bzw. qualifikationsbezogen (Praxis für Kinderzahnmedizin) und andererseits praxisbezogen (Kinderzahnarztpraxis) geworben wurde.
Es liegt auf der Hand, dass diese Abgrenzung nicht immer haarscharf erfolgen kann, insbesondere da es auf das Verständnis des durchschnittlichen Verbrauchers ankommt und dies immer eine Wertungsfrage ist, die so oder so beantwortet werden kann.
Zahnarztpraxen sollten daher überprüfen, ob ihre Website, ihr Name und sonstige Werbematerialien den Eindruck erwecken könnten, dass sie eine spezielle Form der Zahnheilkunde ausüben. Ist dies der Fall, muss differenziert werden zwischen denjenigen Bereichen, die durch eine staatlich geprüfte Qualifikation gedeckt sind (Kieferorthopädie, Oralchirurgie, Parodontologie) und Tätigkeitsschwerpunkten.
Droht durch eine Werbung die Fehlvorstellung, der Zahnarzt verfüge über einen Fachzahnarzt oder eine ähnliche staatlich nachgewiesene Qualifikation, muss der Zahnarzt dem Entstehen einer Fehlvorstellung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken.
So hat der BGH in einem Urteil aus 2021 (29. 07.2021 – I ZR 114/20) klargestellt, dass ein Zahnarzt, der nicht Fachzahnarzt für Kieferorthopädie ist und mit den Angaben „Kieferorthopädie“ und „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ wirbt, der dadurch ausgelösten Fehlvorstellung eines erheblichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise, er sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, durch zumutbare Aufklärung entgegenwirken müsse.
Am wenigsten zu befürchten haben naturgemäß Zahnärzte, die in ihrem Werbeauftritt die berufsrechtlichen Vorgaben der jeweiligen Zahnärztekammern zum Führen von Tätigkeitsschwerpunkten 1:1 umsetzen. Weicht man von den Formulierungsvorschlägen der Kammern ab, läuft man Gefahr, in deren Visier zu geraten. Geht man dann auf die Beanstandung nicht ein, droht ein Klageverfahren.
Denkbar sind auch Abmahnungen und Klagen von Wettbewerbern, denn jeder Verstoß gegen das zahnärztliche Werberecht ist immer auch zugleich ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. So sind auch die den beiden Urteilen zugrunde liegenden Streitigkeiten wettbewerbsrechtlicher Natur, und die Zahnärztekammer Nordrhein hat nicht den Weg vor das Berufsgericht, sondern den Zivilrechtsweg gewählt. Dieser aber steht jedem konkurrierenden Zahnarzt ebenfalls offen.