Flexibilität im gekrümmten Kanal
Akute Schmerzen, ein manifestes Entzündungsgeschehen in den Kanälen und eine stark gekrümmte Wurzel als zusätzliche Herausforderung – hier stellt die richtige Aufgabenverteilung zwischen Allgemeinzahnarzt und Spezialist einen entscheidenden Erfolgsparameter dar. Dr. Jens Emmelmann, Endodontologe aus Lieboch bei Graz, erläutert an einem aktuellen Beispiel, wie sie aussehen sollte und wie er den betreffenden Fall gelöst hat.
Herr Dr. Emmelmann, wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus? Welche Art von Praxis betreiben Sie?
EMMELMANN: Ich bin Partner in einer Gemeinschaftspraxis am Stadtrand von Graz im Süden Österreichs. Ich habe mich vor einigen Jahren auf die Endodontie als Teilgebiet der Zahnmedizin spezialisiert; sie nimmt 90 bis 95 Prozent meines beruflichen Alltags ein. Den Weg zur Spezialisierung absolvierte ich über Fortbildungen und dem postgraduellen Curriculum der DGET. Dies und mittlerweile auch eine gewisse Erfahrung gibt uns die Möglichkeit endodontische Fälle mit einer hohen Erfolgsquote zu lösen. Viele Kollegen nutzen die Möglichkeit zur Zusammenarbeit und Überweisen ihre Patienten in bestimmten Fällen zu endodontischen Behandlungen an unsere Praxis.
Von einer erfolgreichen endodontischen Behandlung haben Sie kürzlich berichtet [1]. Schildern Sie doch bitte kurz die Ausgangssituation!
EMMELMANN: Die Patientin kam nach einer Schmerzbehandlung bei ihrer Hauszahnärztin beschwerdefrei in unsere Praxis. Die Kollegin hatte eine irreversible Pulpitis diagnostiziert und daher eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet. Sie hat das entzündete Pulpagewebe im Kronenbereich entfernt, dort wo bei einer akuten Pulpitis die Hauptinfektion lokalisiert ist. Mit dieser Maßnahme und mit Hilfe einer entzündungshemmenden Einlage konnte für die Patientin rasch Beschwerdefreiheit erzielt werden. Eine solche Schmerzbehandlung nimmt oft nur wenige Minuten in Anspruch, hilft dem Patienten aber effektiv. Das ist der Idealfall, auch für uns.
Anhand des Röntgenbildes (Abb. 1) konnte die Kollegin eine starke Krümmung der Wurzelkanäle erkennen und hat daher entschieden diesen Fall zur Weiterbehandlung zu überweisen. Wird eine starke Kanalkrümmung beispielsweise bei der maschinellen Aufbereitung nicht berücksichtigt, kann es mitunter zu Aufbereitungsfehlern kommen, die dann auch für den spezialisierten Zahnarzt schwierig zu korrigieren sind.
Worauf kommt es dabei an?
EMMELMANN: Bei stark gekrümmten Kanälen oder sonstigen Umständen mit höherem Schwierigkeitsgrad spielt die individuelle Erfahrung des Behandlers eine große Rolle. Eine sichere Beurteilung der anatomischen Schwierigkeiten des Kanalsystems kann für den endodontischen Behandlungserfolg essenziell sein.
Es muss entschieden werden, wie bei der Aufbereitung vorgegangen wird, welches Feilensystem vorteilhaft ist oder ob sogar die Kombination verschiedener Systeme hilfreich wäre.
Sie haben im vorliegenden Falle eine komplexe Abfolge von Feilen verwendet. Welcher Maxime folgen Sie bei der Aufbereitung von Wurzelkanälen?
EMMELMANN: Grundsätzlich stehen uns verschiedene Aufbereitungstechniken zur Verfügung: vollrotierend und reziprok, sequenzielle Aufbereitung oder die sogenannte Single File Technik. Beim reziproken Bewegungsmuster reduzieren Rückstellbewegungen die mechanische Belastung auf die Feile. Um die mechanische Belastung auf die Instrumente zu reduzieren sind bei der vollrotierenden Variante (Abb. 2) daher in der Regel mehrere Instrumente notwendig, um den Kanal auf eine erforderliche Größe aufzubereiten, während man mit einem reziprok arbeitenden Instrument möglicherweise mit einer einzigen Feile auskommt (Abb. 3). Mit nur einem System zu arbeiten, kann in bestimmten Fällen Nachteile mit sich bringen. Bei sehr engen oder stark gekrümmten Wurzelkanälen, ist es manchmal von Vorteil, auf verschiedene Feilensysteme zugreifen zu können.
So habe ich im vorliegenden Fall zwischen reziprok und rotierend arbeitenden Feilen hin- und hergewechselt, habe Feilen mit unterschiedlicher Größe und Konizität und damit Flexibilität verwendet. Bei starken Wurzelkanalkrümmungen spielt die Flexibilität des Instruments häufig eine entscheidende Rolle. Merkt man, dass man mit einer Feile nicht weiterkommt, der Widerstand im Kanal zu groß wird, kann es sinnvoll sein, auf ein kleineres und/oder flexibleres Instrument zu wechseln.Zum Beispiel beginne ich mit einer reziprok arbeitenden ISO 25 Feile, erweitere den Kanal damit initial im koronalen Drittel. Danach wechsele ich auf eine kleinere, schlankere und damit flexiblere vollrotierende ISO 20 Feile um damit zunächst den stärker gekrümmten Kanalanteil zu präparieren. Im nächsten Schritt komme ich dann möglicherweise mit der reziprok arbeitenden ISO 25 Feile leichter weiter Richtung Apex.
Neben der mechanischen Aufbereitung der Wurzelkanäle spielt die Spülung mit einer desinfizierenden Flüssigkeit eine wichtige Rolle. Wie wichtig ist sie?
EMMELMANN: Sie macht einen sehr großen Teil des Erfolgs aus. Mechanische Aufbereitung und Spülung sind zwei Schritte, die zusammengehören. Mit der mechanischen Aufbereitung versuchen wir, das gesamte infizierte Material, inklusive dem an den Wänden anhaftenden Biofilm, abzutragen und aus dem Wurzelkanal hinauszubefördern. Doch die Anatomie der Wurzelkanäle entspricht selten der Form und Größe unserer Instrumente. Verbliebene Bakterien beispielsweise in Nischen oder Isthmen des Wurzelkanalsystems, können für einen endodontischen Misserfolg verantwortlich sein (Abb. 4). Da sich ein großer Teil des Kanalvolumens mechanisch nicht erreichen lässt, spielen desinfizierende und reinigende Spüllösungen wie etwa Natriumhypochlorit und EDTA eine entscheidende Rolle (Abb. 5 und 6). Natriumhypochlorit löst, über die desinfizierende Wirkung hinaus, auch pulpales Restgewebe auf. Gewebereste könnten ansonsten verbliebenen Bakterien als Substrat dienen. EDTA als Chelator hat vor allem die Aufgabe, den „smear layer“ an den Kanalwänden zu entfernen. Er entsteht aus bei der mechanischen Aufbereitung abgetragenem Dentin. In einer solchen Schmierschicht können Bakterienreste verbleiben, darüber hinaus kann sie die Haftung der Wurzelkanalfüllung an der Kanalwand später beeinträchtigen (Abb. 7).
Sie haben zum Applizieren der Spüllösung im vorliegenden Falle eine spezielle Kanüle aus Kunststoff verwendet.
EMMELMANN: Mit Hilfe der Spülkanüle werden die Spülflüssigkeiten in den Wurzelkanal eingebracht. Die Kanüle muss daher hinsichtlich Größe und Flexibilität geeignet sein das Kanalsystem nahezu vollständig zu erreichen. Besonders im gekrümmten Kanal spielt die Flexibilität der Kanüle daher eine entscheidende Rolle. Das hat mir auch im vorliegenden Fall wesentlich geholfen.
Sie haben die Spüllösung im vorliegenden Falle aktiviert. Wie funktioniert das?
EMMELMANN: Im vorliegenden Fall wurden die Spülflüssigkeiten zusätzlich schallaktiviert. Verwendet wurde dafür die VDW EDDY-Spülspitze. Dabei handelt es sich um eine Polyamid-Schallspitze die durch Schallaktivierung in einem oszillierendem Bewegungsmuster schwingt. Die Spülflüssigkeiten werden verwirbelt und besser im Kanalsystem verteilt. Der Reinigungs- und Desinfektionseffekt wird dadurch signifikant verbessert. Auch anhaftender smear layer lässt sich leichter entfernen.
Ist im vorliegenden Falle inzwischen eine Verlaufskontrolle erfolgt?
EMMELMANN: Um den endodontischen Behandlungserfolg auch langfristig zu validieren sind Verlaufskontrollen ein ganz entscheidendes Hilfsmittel (Abb. 8). Im vorliegenden Fall ist gerade die Kontrolle 6 Monate nach Behandlungsabschluss erfolgt. Der Zahn ist ‧vorerst radiologisch und klinisch un‧auffällig.
Dr. Jens Emmelmann
Niedergelassener Zahnarzt in der Praxis für Endodontie und Traumatologie in Lieboch/Österreich, zertifiziertes Mitglied der DGET, certified Teacher VDW
endodontie@gmx.com
Literatur
1. Emmelmann, J. Oberkiefermolar mit stark gekrümmter mesiobukkaler Wurzel. Endod J 2021 (4) sowie https:/‧/www.zwp-online.info/fachgebiete/endodontologie/wurzelkanalaufbereitung/oberkiefermolar-mit-stark-gekrummter-mesiobukkaler-wurzel (Zugriff am 28.7.2022)