Keep it simple!
Mit fortschreitender Digitalisierung wird der Praxisalltag immer komplexer. Dennoch bietet die moderne digitale Zahnmedizin mit ihren zahlreichen Optionen Potenzial zur Strukturierung und Verschlankung. Das spart zum einen Arbeitszeit, die für andere Aufgaben in der Praxis genutzt werden kann, und kommt zum anderen der Ergebnisqualität zugute.
Der zahnärztliche Beruf wird unter anderem immer komplexer aufgrund zunehmender Bürokratie und steigendem Verwaltungsaufwand. Hinzu kommen stetig neue Technologien und Materialentwicklungen sowie gut informierte Patienten mit zu Recht hohen Erwartungen. All das erfordert – gewissermaßen als Gegenpol – eine Vereinfachung für die Routineprozesse. Das kommt sowohl der Praxis als auch dem prothetischen Team Zahnarzt/Zahntechniker zugute und erhöht die Qualität der Therapie für die Patienten.
Einfache Behandlung
Ein gutes Beispiel einer deutlichen Vereinfachung bei gleichzeitigen klinischen Vorteilen ist die implantatgetragene Einzelkrone. Dafür nutzen wir heute dank digitaler Technologie das Konzept der „Hybridabutment-Krone“: Wir arbeiten auf einer Titan-Klebebasis, die mit einer monolithischen Restauration/Krone verklebt wird. Dieses Vorgehen ist einfach, wenig fehleranfällig und die Restauration kann zudem verschraubt werden, was das Risiko einer Periimplantitis, induziert durch eine Zementitis, senken kann. Und das ist möglich dank des Einsatzes digitaler Technologie.
Im sogenannten Münchener Implantatkonzept wird die Vereinfachung noch weitergeführt. Darin wird bereits während des operativen Eingriffs das Implantat gescannt, im Verlauf der Einheilphase wird die Restauration hergestellt und nach der Implantateinheilung bei der Wiedereröffnung die Krone eingesetzt. Das reduziert die Behandlungszeit, schafft eine hohe Versorgungsqualität und vereinfacht gleichzeitig die Herstellung der prothetischen Restauration. Es gibt bereits viele erprobte klinische Konzepte, die in den Praxen tagtäglich erfolgreich angewandt werden.
Klinische Konzepte in der Praxis
Was die digitale Funktionseinbindung betrifft: Hier existieren mittlerweile Systeme, basierend auf unterschiedlichen Technologien, die eine individuelle Aufzeichnung der Bewegungsbahnen und -muster erlauben. Damit gelangen wir zu mehr objektiver Diagnostik, objektiven Vermessungs- und Therapiemöglichkeiten. Der Zahnarzt muss die Schienenpositionen nicht mehr nach Gefühl verändern, sondern kann diese millimeterweise bewegen oder sperren, entheben oder neue Positionen ausprobieren. Diese neue Option beinhaltet klinische Vorteile und auch Vereinfachungspotenzial, denn somit hat der Zahnarzt eine bessere Kontrolle über den Therapieverlauf.
Digitaler Workflow
An den Schnittstellen können die Geräte schon miteinander kommunizieren, jedoch entstehen dank der ständig wachsenden digitalen Möglichkeiten auch immer wieder neue Potenziale. So können zum Beispiel Daten plötzlich anders analysiert werden und daraus entsteht die Option, künstliche Intelligenz einzubinden, was die Evidenz in der Zahnmedizin erhöhen würde. Davon versprechen wir uns sehr viel für die zahnmedizinische Behandlung. Es werden immer wieder neue digitale Komponenten hinzukommen. Im Hinblick auf die restaurativen Schritte sind wir jedoch mit der Einbindung der funktionellen Kiefergelenkbewegungsdaten schon einen deutlichen Schritt weiter.
Die Funktionseinbindung kann im digitalen Workflow auch eine Vereinfachung darstellen, denn mit dem Intraoralscan eines Quadranten können gleichzeitig die Funktionsbewegungen aufgezeichnet werden. Das macht gegebenenfalls den Gesamtkieferscan mit auftretenden Verzügen verzichtbar. Dadurch benötigt der Zahnarzt weniger Scanzeit, hat gleichzeitig die funktionellen Bewegungsdaten erfasst und kann einen interferenzfreien Zahnersatz modellfrei herstellen. Dorthin wollen wir: Vereinfachung und Zeitersparnis bei höherer Qualität.
Schnittstelle mit dem Labor
Die Kommunikation ist an dieser Stelle ein wichtiger Punkt. Zahnarzt und Zahntechniker sollten in Echtzeit kommunizieren und gleichzeitig auf den Datensatz und alle nötigen Informationen zugreifen können, um fokussiert das gesteckte Planungsziel zu erreichen. Hilfreich dafür sind ein klar formulierter Laborauftrag und Checklisten. Gerade an dieser Schnittstelle kann die Digitalisierung im Sinne einer Standardisierung helfen. Mittlerweile stehen auch viele unterschiedliche Technologien (additiv und subtraktiv) und entsprechende Materialien für die digitale Bearbeitung zur Verfügung.
Mehr Vereinfachungspotenzial für die Praxen
Wir verfügen mittlerweile über homogene, biokompatible und -inerte, subtraktiv zu bearbeitende Materialien, die bereits heute zur Vereinfachung in der Praxis beitragen. Im Hinblick auf additiv verarbeitete Materialien sehe ich kurzfristig Potenzial im Bereich druckbarer Provisorien oder Try-ins, aber auch im Bereich von festsitzendem Einzelzahnersatz – wir starten dazu gemeinsam mit der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der LMU aktuell eine erste klinische Studie. Nur die Technologie allein bringt jedoch keine Vereinfachung, sondern es ist immer der damit einhergehende Arbeitsablauf, der das Potenzial bietet und abgestimmt werden muss.
Kein Verlust an Qualität
Vereinfachung hat nichts mit Qualitätseinbuße zu tun; es geht keinesfalls um „quick and dirty“! Erzeuge ich mit Vereinfachung einen Rückschritt, habe ich an der falschen Stellschraube gedreht, denn die Qualität der Restauration beziehungsweise das Behandlungsergebnis darf keinesfalls schlechter werden. Vereinfachung in unserem Kontext bedeutet: Standardisierung des Arbeitsablaufs und der eingesetzten Materialien sowie das Definieren von Abläufen. Das erhöht die Qualität und schafft Freiräume beim Praxisteam, denn damit entfallen unnötige Wiederholungen, was sich langfristig auch in der Kostenstruktur der Zahnarztpraxis niederschlägt. Es geht auch nicht darum, am Material zu sparen, also beispielsweise das günstigste Abformmaterial online zu bestellen, sondern beispielsweise den Prozess der Abformung so zu standardisieren, dass die Abformung beim ersten Mal präzise gelingt und nicht noch ein zweites Mal abgeformt werden muss und damit der Effekt der Materialersparnis „verpufft“. Auch im Hinblick auf den Wissenstransfer ins ganze Praxisteam sind standardisierte Arbeitsschritte besser zu vermitteln, zu verstehen und umzusetzen, da der Zahnarzt damit eine klare Struktur mit „Kochrezepten“ vorgeben kann.
Vereinfachungskonzepte in der Praxis
Gerade in großen Teams und Praxen lohnt es sich, die Arbeitsschritte und Prozesse genau unter die Lupe zu nehmen und Standards zu implementieren. Das spart Zeit, denn damit entfallen Reparaturen und Wiederholungen. Das wiederum schafft Kapazitäten für weitere Aufgaben im Praxisteam, was sich langfristig auch in der Kostenstruktur der Zahnarztpraxis niederschlagen sollte. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist: Fällt ein Behandler aus oder ist im Urlaub, kann jederzeit ein Kollege übernehmen und weiß genau, an welcher Stelle er im Prozess steht, wie und mit welchen Materialien die Therapie weitergeführt wird. Das schafft Vertrauen beim Patienten.