Herausforderung Endo – auf dem Stand der Technik
Wurzelkanalbehandlungen können heute ausgesprochen routiniert durchgeführt werden – Schritt für Schritt. Vor Überraschungen ist dennoch niemand gefeit. Im Folgenden wird skizziert, wie ein erfolgsträchtiges Vorgehen auf dem Stand der Technik im Allgemeinen aussieht, und wie der Behandler seinen Erfolg sichert.
Am Anfang steht stets die Röntgenaufnahme, woraus sich in der Zeit der dreidimensionalen Bildgebung automatisch die Frage ergibt: Ist hier ein digitales Volumentomogramm angezeigt?
Dreidimensional sehen – keinen Kanal übersehen
Die Antwort lautet ganz klar: Ja, aber. Denn Volumentomogramme sollten nicht routinemäßig als Primärdiagnostik herangezogen werden, sondern ergänzend in begründeten Fällen aufgenommen werden. Ein Beispiel stellen Revisionen und komplexe anatomische Verhältnisse wie im folgenden Fall dar [1]: Nach erfolgreicher Kariesexkavation gelingt es dem Hauszahnarzt nicht, den röntgenologisch erfassbaren und vermeintlich einzigen Wurzelkanal im ersten Versuch auf der vollen Länge zu instrumentieren. Eine exzentrische 2D-Röntgenaufnahme beim Spezialisten zeigt: „Da ist mindestens noch ein weiterer vestibulärer Wurzelkanal.“ Und ein DVT offenbart einen zusätzlichen, lingualen Wurzelkanal [2].
Die 3D-Aufnahme birgt darüber hinaus die Möglichkeit eines endodontischen Backward Plannings (ähnlich dem BackwardPlanning in der Implantologie) – falls gewünscht bis hin zu Bohrschablonen. Das ermöglicht eine neue Arbeitsaufteilung zwischen Hauszahnarzt und Endodontologe. Dieser übernimmt „nur“ die Planung, jener die Durchführung. Unternehmen der Dentalindustrie entwickeln dazu geeignete Software kontinuierlich weiter. Sie kann helfen, von vorneherein mehr Wurzelkanäle zu sehen und dadurch Überraschungen wie die oben geschilderte zu vermeiden.
Wurzelkanäle unter der Lupe
Mehr sehen während der Behandlung bedeutet in der Endodontie Lupenbrille und Operationsmikroskop. Für einen optimalen Einsatz gibt es eine klare Faustregel: Für die allgemeine Zahnmedizin, beispielsweise auch für die postendodontische Versorgung, eignen sich Keplersche Lupenbrillen mit umrüstbaren Vergrößerungsoptiken und koaxialer LED-Beleuchtung (bis 3,5-fache Vergrößerung). Die Instrumentierung von Wurzelkanälen bedarf mindestens eines Galileischen Lupensystems mit optionaler intraoperativer Feinjustierung (bis ca. 6-fache Vergrößerung). Als leistungsfähiger und für den Spezialisten unerlässlich erweisen sich OP-Mikroskope.
Mit der Lupenbrille erkennt der Behandler zum Beispiel den vierten Kanal eines Oberkiefermolaren signifikant häufiger als mit bloßem Auge. Das OP-Mikroskop gewährt tiefere Einblicke in die Feinstrukturen der Kanäle (z. B. Kanalabzweigungen apikal des koronalen Drittels, frakturierte Instrumente, Stufen oder Dentinfarben).
Spezialisierte Unternehmen der Dentalindustrie bieten dafür maßgeschneiderte Lösungen, so etwa gewichtsreduzierte Lupenbrillen dank TTL-Technik („through the lens“) und ihre individuelle Kombination mit Brillensystemen. Zur Auswahl stehen Modelle mit leichteren Kunststoff- oder robusteren Metallgestellen und zugehörige Lichtsysteme mit leichterem kabelgebundenen Akku für 16 Stunden Stromversorgung oder mit flexiblerem, aber schwererem kabellosen Akku für 90 Minuten Strom bis zur nächsten Aufladung. Welches System der Behandler auch immer wählt – als Fazit bleibt: Bis zum Kanaleingang mit der Lupenbrille, weiter hinunter mit dem OP-Mikroskop – mit dieser Systematik lassen sich Überraschungen recht gut vermeiden, und ergonomisch spricht auch vieles für dieses Vorgehen.
Im Dunkeln helfen Längenmessung und die richtigen Feilen
Dennoch werden die Details desto weniger einsehbar, je tiefer es hinuntergeht. Spätestens hier beginnt so etwas wie die Angst des Schützen vor dem Elfmeter. Die Chancen, ein Tor zu erzielen, stehen zwar gut, doch eine 100-prozentige Sicherheit gibt es für den Spieler, respektive für den Endodontologen, nicht.
Wohl aber schafft er sich beste Voraussetzungen, indem er, je nach klinischer Situation und eigenen Präferenzen, zu Handfeilen, kontinuierlich rotierenden oder reziproken Feilen greift. Sie werden im Zuge der industriellen Herstellung durch Werkstoffvergütungsschritte immer flexibler gemacht und durch unterschiedliche Abschlussbehandlungen für den allgemeinen Gebrauch oder für Spezialaufgaben, wie Revisionen, konfektioniert.
Wie weit der Behandler die jeweilige Feile schon in den Wurzelkanal hineingeschoben hat, zeigen intraoperative Röntgenaufnahmen und/oder endometrische Längenmessungen. Die höchste Sicherheitsstufe wird mit der Kombination von beiden erreicht.
Bei aller Effektivität ist zu konstatieren: Annähernd die Hälfte der Wurzelkanaloberfläche bleibt trotz ordnungsgemäßer Aufbereitung unbearbeitet [3, 4]. Darum besteht das eigentliche Ziel darin, durch eine desinfizierende Spülung nach jedem einzelnen Aufbereitungsschritt die in den Kanälen verbliebenen Mikroorganismen nach Möglichkeit unschädlich zu machen, mindestens aber so weit einzumauern, dass eine Vermehrung und Rekolonisation des Wurzelkanals weitestmöglich unterbunden wird [5]. Gemäß einem neueren Konzept versucht man durch großzügigere Ausformung des apikalen Bereichs zwecks Schaffung von Spülvolumen die Spülung effektiver zu machen („Deep Shape“). Gleichzeitig wird in den darüberliegenden Bereichen minimalinvasiv aufbereitet.
Die Aufbereitung des gesamten Systems setzt sich, neben der Vorbereitung einer effektiven Spülung, zum Ziel, dass die Wurzelkanäle anschließend ebenso effektiv abgefüllt werden können. Dazu können aufeinander abgestimmte Komponenten eine Menge beitragen: Die Dimensionen der Spülkanüle passen zu den verwendeten Feilen und diese wiederum zu den Obturatoren, eines greift ins andere.
Gute Prognose für die Endo – Steigerung auf der IDS 2023
Obwohl naturgemäß keine 100-prozentige Sicherheit versprochen werden kann, stehen die Chancen doch gut. Erfolgsquote endodontischer Primärbehandlungen nach vier bis sechs Jahren bei Abwesenheit einer apikalen Parodontitis zu Therapiebeginn: 92 Prozent! Liegt eine apikale Parodontitis vor, so sinkt die Erfolgsquote auf 74 bis 83 Prozent [6, 7].
Zu den aktuellen Chancen endodontischer Behandlungen nimmt im Folgenden Mark Stephen Pace, Vorstandsvorsitzender des VDDI e.V. (Verband der Deutschen Dental-Industrie) Stellung.
Herr Pace, wie sehen Sie die Erfolgschancen endodontischer Behandlungen auf dem Stand der Technik?
MARK STEPHEN PACE: Die Erfolgsquoten von 74 bis 92 Prozent aus Studien in Kanada zählen zu den besten Fixsternen, an denen wir uns in der Endodontie heute noch orientieren können. Dazu muss man aber bedenken, dass die schon etwa 15 bis 20 Jahre alt sind.
Gelten sie heute nicht mehr?
MARK STEPHEN PACE: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Behandler und die Industrieprodukte inzwischen deutlich besser und effizienter geworden sind. Ich habe in neueren Studien schon von deutlich über 95-prozentigen Erfolgsquoten gelesen.
Welche Innovationen tragen aktuell am meisten dazu bei?
MARK STEPHEN PACE: Zu nennen sind hier auf jeden Fall die differenzierten Wärmebehandlungen von Nickel-Titan-Stahl für maschinengetriebene endodontische Feilen. Eine weitere Stoßrichtung der Forschung geht in Richtung noch bioverträglicherer Werkstoffe für die Obturation und die Wurzelkanalversiegelung. Alle bewährten und innovativen Verfahren und Produkte erlebt der Besucher der Internationalen Dental-Schau, der IDS, vom 14. bis zum 18. März 2023 in Köln.