Extraktion als Körperverletzung
Extrahiert ein Zahnarzt seinem Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne, begeht er die Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dies hat das OLG Karlsruhe in einem Strafverfahren mit Beschluss vom 16.03.2022 (Az. 1 Ws 47/22) festgestellt.
§224 Gefährliche Körperverletzung lautet: (1) Wer die Körperverletzung
1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5. mittels eines das Leben gefährdenden Behandlung begeht,
wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
ZUM SACHVERHALT
In ihrer Anklage vom 24.02.2017 legte die Staatsanwaltschaft dem angeklagten Zahnarzt zur Last, im Zeitraum zwischen dem 20.07.2010 und dem 06.06.2014 als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten und Patientinnen Zähne extrahiert zu haben, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gegeben hätte. Zuvor habe der angeklagte Zahnarzt seinen Patienten die Extraktion bestimmter Zähne als zwingend notwendig empfohlen. Im Vertrauen auf die Angaben des angeklagten Zahnarztes hätten die Patienten den Zahnextraktionen zugestimmt, woraufhin der Angeklagte diese Eingriffe mittels der dafür erforderlichen ärztlichen Instrumente vorgenommen habe. Hätte der Angeklagte seine Patienten über die alternativen Behandlungsmethoden aufgeklärt, hätten diese den Zahnerhalt vorgezogen und die Zahnextraktion abgelehnt. Dem angeklagten Zahnarzt sei es dabei darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.
INSTRUMENTE ZUR ZAHNEXTRAKTION ALS WAFFE IM SINNE DES STGB
In seiner Entscheidungsbegründung führt das OLG Karlsruhe aus, warum es die zahnärztlichen Instrumente als Waffe im Sinne des StGB einstuft: „Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft K. darauf hin, dass die Einordnung eines gefährlichen Werkzeugs als Mittel der Tatbegehung … nicht mehr als Beispiel für eine Waffe, sondern eine Waffe nunmehr als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu verstehen ist… . Demzufolge kann eine Abgrenzung, ob ein ärztliches oder zahnärztliches Instrument als gefährliches Werkzeug einzustufen ist oder nicht, nicht mehr danach erfolgen, ob es gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt wird … . Vielmehr ist auch bei ärztlichen Instrumenten wie der vorliegend vom Angeklagten verwendeten Instrumente zur Zahnextraktion danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen…
CHIRURGISCHER EINGRIFF
Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend der Fall. Zwar werden Schmerzen während der Extraktion eines Zahnes mittels der dafür vorgesehenen zahnärztlichen Instrumente aufgrund einer örtlichen Betäubung nicht oder kaum verspürt. Die vom Angeklagten vorsätzlich ohne medizinische Indikation zur Zahnextraktion verwendeten Instrumente (namentlich die zur Zahnextraktion verwendete Zange) führten unmittelbar nach dem Eingriff aber – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist – nach Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zu dem unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses sowie zusätzlich zu einer – jedenfalls für die Dauer einiger Tage – offenen Wunde im Mundraum der Patienten. Derartige Eingriffe sind nach Abklingen der lokalen Narkose regelmäßig mit nicht unerheblichen Schmerzen, Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, welche nur durch Einnahme von Tabletten und oralhygienische Maßnahmen gemindert werden können, und zwar insbesondere dann, wenn wie vorliegend nacheinander mehrere Zähne entfernt werden (im Fall Ziff. 11: drei Zähne, im Fall Ziff. 16: fünf Zähne, im Fall Ziff. 22: sieben Zähne und im Fall Ziff. 23: vier Zähne). Von sowohl nach ihrer Intensität als auch ihrer Dauer gravierenden Verletzungen im Mundraum der Patienten ist daher auszugehen… . Keine Rolle bei der Einordnung der vom Angeklagten verwendeten Instrumente als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB spielt der Umstand, dass der Angeklagte als (damals) approbierter Zahnarzt zu deren regelgerechter Anwendung grundsätzlich in der Lage war und sie auch regelgerecht angewandt hat.“
FAZIT
Da sich die zahnärztlichen Instrumente als Waffen im Sinne des § 224 StGB einordnen lassen, geht das nicht indizierte Extrahieren der Zähne über den Tatbestand der einfachen Körperverletzung hinaus und stellt eine so genannte gefährliche Körperverletzung dar.
DR. SUSANNA ZENTAI
ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Dr. Zentai – Heckenbücker in Köln und als Beraterin sowie rechtliche Interessenvertreterin (Zahn-)Ärztlicher Berufsvereinigungen tätig.
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