Hochviskos, aber fließfähig
Ein Universalkomposit mit thermisch gesteuertem Viskositätsverhalten erleichtert den Workflow enorm. Das Material kann nach Erwärmung in einem Kompositofen oder in einem heizbaren Kapseldispenser direkt in die Kavität eingebracht und nach Abkühlung modelliert werden. Das genaue Handling veranschaulicht das Fallbeispiel.
Das Angebot im Bereich der direkten plastischen Kompositmaterialien hat sich in den letzten Jahren stark erweitert [1–3]. Ein Trend in der aktuellen Kompositentwicklung besteht darin, die Anwendung der Komposite im Seitenzahnbereich zu vereinfachen und gleichzeitig sicherer zu machen [4–12]. Üblicherweise werden lichthärtende Komposite aufgrund ihrer Polymerisationseigenschaften und der limitierten Durchhärtungstiefe in einer Schichttechnik mit Einzelinkrementen von max. 2 mm Dicke verarbeitet. Die einzelnen Inkremente werden jeweils separat mit Belichtungszeiten von 10–40 s polymerisiert, je nach Lichtintensität der Lampe, der Farbe bzw. dem Transluzenzgrad der entsprechenden Kompositpaste und der Art und Konzentration des in der Kompositpaste enthaltenen Photoinitiators [13].
Mit der Schichttechnik lässt sich zudem durch eine günstige Ausformung der Einzelinkremente in der Kavität ein niedrigerer C-Faktor (Configuration Factor = Verhältnis der gebondeten zu freien Kompositoberflächen) realisieren. Somit können durch möglichst viel frei schrumpfende Kompositoberflächen auch der materialimmanente polymerisationsbedinge Schrumpfungsstress und dessen negative Auswirkungen auf die Restauration – wie Ablösung des Komposits von den Kavitätenwänden, Randspaltbildung, Randverfärbungen, Sekundärkaries, Schmelzfrakturen, Höckerdeflexionen, Rissbildung in den Zahnhöckern und Hypersensibilitäten – minimiert werden [14, 15].
Einen neuen Ansatz verfolgt das thermoviskose Universalkomposit VisCalor (VOCO, Cuxhaven), das aufgrund des umfangreichen Farbangebotes von 11 Vita-Farben für sämtliche Kavitätenklassen inklusive ästhetischer Frontzahnrestaurationen vorgesehen ist. Hierbei handelt es sich um ein bei Raum- und Körpertemperatur hochviskoses Kompositmaterial, das durch Erwärmung in einem Kompositofen oder einem speziellen Dispenser mit Aufheizfunktion auf die Temperatur von 65–68 °C in eine fließfähige Konsistenz überführt wird (Thermo-Viscous-Technology). Das Material fließt in der erwärmten Phase optimal an die Kavitätenwände an, auch in engen und unter sich gehenden Bereichen, und erleichtert somit die Applikation des Füllungswerkstoffs in den Zahndefekt. Das erwärmte VisCalor-Komposit kühlt durch den Kontakt mit der Zahnhartsubstanz durch Wärmeleitung (Konduktion) sehr schnell auf Mundtemperatur ab und geht somit innerhalb weniger Sekunden wieder in den hochviskosen, modellierbaren Zustand über. Durch die hohe Wärmekapazität der Zähne, die relativ geringe Menge erwärmten Kompositmaterials und die Möglichkeit der schnellen zusätzlichen Wärmeableitung in die Mundhöhle besteht bei Anwendung dieser Technik keine Gefahr einer thermischen Pulpaschädigung der zu restaurierenden Zähne [16, 17]. Das Material vereint somit die Fließfähigkeit eines flowable Komposites während der Applikation mit der Modellierbarkeit eines stopfbaren Komposites. Da die gesamte Kavität mit demselben Material gefüllt werden kann, ergibt sich auch eine Zeitersparnis gegenüber kombinierten Systemen aus fließfähigen und modellierbaren Kompositmaterialien, bei denen zwangsläufig ein Wechsel des Materials erfolgen muss. VisCalor kann in Schichten von bis zu 2 mm Dicke verarbeitet werden und wird in 11 Farben angeboten. Es weist eine Polymerisationsschrumpfung von 1,41 Vol.-% bei gleichzeitig niedrigem Schrumpfungsstress (4,1 MPa) auf. Das Material verfügt mit einer Biegefestigkeit von 158 MPa über eine hohe Stabilität und sichert durch eine geringe Wasseraufnahme eine gute Farbstabilität und stabile mechanische Eigenschaften. Die Applikationskompule hat eine schmale, biegsame Kanüle, die eine direkte Applikation des thermoviskosen Komposits auch in schwer zugängliche Bereiche und enge Kavitätenareale ermöglicht.
Die Erwärmung des thermoviskosen VisCalor-Komposits kann alternativ zur Verwendung eines „Caps Warmer“-Kompositofens – bei dem allerdings eine Vorwärmzeit von 20 min und eine Aufwärmzeit der Kapseln von 3 min mit nachfolgender limitierter Verarbeitungszeit der erwärmten Kapseln von 20 s berücksichtigt werden muss – auch direkt in einem innovativen heizbaren Kapseldispenser (VisCalor Dispenser, VOCO, Cuxhaven), dessen Temperaturfunktion auf der Nah-Infrarot-Technologie basiert, erfolgen. Dieser bietet gegenüber dem Kompositofen mehrere Vorteile: die Erwärmung von Dispenser und Kompositkapsel verläuft parallel und dauert insgesamt nur 30 s, der Dispenser wird neben der Erwärmung gleichzeitig auch als Applikationsgerät verwendet und steigert den Komfort, da somit ein Wechsel vom Aufheizgerät in eine extra Kompositpistole erspart bleibt und desweiteren bietet der neuartige Dispenser eine verlängerte Verarbeitungs- bzw. Warmhaltezeit der Kompositkapseln bis zu 2,5 min.
Der Konkrete Fall
Eine 29-jährige Patientin erschien in unserer Sprechstunde mit Zahnschmerzen im Bereich des linken Oberkiefers. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine durch Karies verursachte kavitierte Läsion an Zahn 25 mesial, direkt angrenzend an eine vorhandene okklusal-distale Kompositfüllung (Abb. 1). Der Zahn reagierte auf den Kältetest ohne Verzögerung sensibel und zeigte auf den Perkussionstest ebenfalls keine Auffälligkeiten. Nach der Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen und deren Kosten entschied sich die Patientin für eine plastische Füllung mit dem thermoviskosen Universalkomposit VisCalor (VOCO GmbH, Cuxhaven). Mithilfe eines Röntgenbilds wurde die Ausdehnung des kariösen Prozesses präoperativ visualisiert (Abb. 2).
Zu Beginn der Behandlung wurde der betreffende Zahn mit fluoridfreier Prophylaxepaste und einem Gummikelch gründlich von externen Auflagerungen gesäubert. Anschließend wurde die passende Kompositfarbe A2 am noch feuchten Zahn ermittelt (Abb. 3). Das alte Füllungsmaterial wurde nach der Verabreichung von Lokalanästhesie vorsichtig aus dem Zahn entfernt und die Karies vollständig exkaviert. Anschließend wurde die Präparation mit Feinkorndiamanten finiert. Nachfolgend wurde das Behandlungsareal durch das Anlegen von Kofferdam isoliert. Im Anschluss wurde die dreiflächige Kavität mit zwei Metallteilmatrizen eingegrenzt, die mit je einem Spannring sowohl im mesialen als auch im distalen Approximalraum fixiert wurden (Abb. 4).
Vorbhandlung mit Universaladhäsiv
Für die adhäsive Vorbehandlung der Zahnhartsubstanzen wurde das Universaladhäsiv Futurabond M+ (VOCO GmbH, Cuxhaven) ausgewählt. Bei Futurabond M+ handelt es sich um ein modernes Einflaschen-Universaladhäsiv, das mit allen gebräuchlichen Konditionierungstechniken und sämtlichen derzeit angewendeten Adhäsivstrategien kompatibel ist („Multi-mode“-Adhäsiv): der phosphorsäurefreien Self-Etch-Technik und beiden phosphorsäurebasierten Etch-and-Rinse-Konditionierungstechniken (selektive Schmelzätzung bzw. komplette Total-Etch-Vorbehandlung von Schmelz und Dentin mit Phosphorsäure). Auch bei diesen Universaladhäsiven resultiert die vorangehende Phosphorsäurekonditionierung des Zahnschmelzes (selektive Schmelzätzung) in einer besseren Haftvermittlung [18–20]. Im Gegensatz zu den klassischen Self-Etch-Adhäsiven verhalten sich die neuen Universaladhäsive unempfindlich gegenüber einer Phosphorsäureätzung des Dentins [21–25]. Die Möglichkeit, bei Verwendung dieser Universaladhäsive das Applikationsprotokoll in Abhängigkeit von intraoralen Notwendigkeiten ohne Wechsel des Haftvermittlers jederzeit kurzfristig variieren zu können, reduziert die Techniksensitivität und gibt dem Zahnarzt die nötige Freiheit, auf unterschiedliche klinische Situationen (z.B. pulpanahes Dentin, Blutungsgefahr der angrenzenden Gingiva, etc.) flexibel reagieren zu können.
Im vorliegenden Fall wurde die Total-Etch-Vorbehandlung von Schmelz und Dentin mit Phosphorsäure eingesetzt. Hierzu wurde 35%-ige Phosphorsäure (Vococid, VOCO GmbH, Cuxhaven) zuerst zirkulär entlang der Schmelzränder aufgetragen und wirkte dort für 15 s ein (Abb. 5). Danach wurde zusätzlich das gesamte Dentin der Kavität mit Ätzgel bedeckt (total etch) (Abb. 6). Nach weiteren 15 s Einwirkzeit wurden die Säure und die damit aus der Zahnhartsubstanz herausgelösten Bestandteile gründlich mit dem Druckluft-Wasser-Spray für 20 s abgesprüht und anschließend überschüssiges Wasser vorsichtig mit Druckluft aus der Kavität verblasen. Nachfolgend wurde eine reichliche Menge des Universalhaftvermittlers Futurabond M+ mit einem Microbrush auf Schmelz und Dentin appliziert (Abb. 7). Das Adhäsiv wurde für 20 s mit dem Applikator sorgfältig in die Zahnhartsubstanzen einmassiert. Nachfolgend wurde das Lösungsmittel mit trockener, ölfreier Druckluft vorsichtig verblasen (Abb. 8) und der Haftvermittler danach mit einer Polymerisationslampe für 10 s ausgehärtet (Abb. 9). Es resultierte eine glänzende und überall gleichmäßig von Adhäsiv benetzte Kavitätenoberfläche (Abb. 10). Dies sollte vor dem Einbringen des Restaurationsmaterials sorgfältig kontrolliert werden, da matt erscheinende Kavitätenareale ein Indiz dafür sind, dass nicht ausreichend Adhäsiv auf diese Stellen aufgetragen wurde. Im schlimmsten Fall könnte sich dies in einer verminderten Haftung der Füllung an diesen Bereichen auswirken. Parallel dazu einhergehend wäre auch eine optimale Versiegelung betroffener Dentinareale gefährdet. Eine mangelhafte Versiegelung einzelner Dentinabschnitte kann bei vitalen Zähnen zu persistierenden postoperativen Hypersensibilitäten führen. Diese Komplikation, die oft den Austausch einer neu angefertigten Restauration bedingt, lässt sich aber in den meisten Fällen durch ein sorgfältiges Adhäsivprotokoll vermeiden. Werden daher bei der visuellen Kontrolle derartige, nicht von Adhäsiv abgedeckte, matt aussehende Areale entdeckt, so wird dort korrigierend selektiv nochmals Haftvermittler aufgetragen, um die Adhäsivschicht zu optimieren.
Leichte Applikation
Das thermoviskose Komposit VisCalor (VOCO, Cuxhaven) wurde in der Farbe A2 im VisCalor Dispenser (VOCO, Cuxhaven) auf 65 °C erwärmt (Abb. 11). Die schmale, biegsame Kanüle der VisCalor Kompule erleichtert eine direkte Applikation auch in schwer zugängliche Bereiche und enge Kavitätenareale (Abb. 12). Die Kavität wurde mit dem ersten 2 mm-Inkrement bis ca. zur Hälfte der Defekthöhe aufgefüllt. Durch die niedrigviskose Konsistenz im erwärmten Zustand resultiert ein hervorragendes Anfließverhalten an die Kavitätenwände (Abb. 13). Die erste Kompositschicht wurde für 10 s mit einer Polymerisationslampe (Lichtintensität ≥ 1.000 mW/cm²) ausgehärtet (Abb. 14). Nachfolgend wurde mit dem nächsten Inkrement VisCalor das restliche Kavitätenvolumen (maximale Schichtstärke 2 mm) komplett aufgefüllt (Abb. 15). VisCalor kühlt innerhalb weniger Momente nach Kontakt mit dem Zahn durch Wärmeleitung (Konduktion) schnell wieder auf Mundhöhlentemperatur ab und nimmt somit wieder eine hochviskose Konsistenz an (Abb. 16). Diese zweite Schicht wurde wiederum für 10 s mit Licht polymerisiert (Abb. 17). Nach Entfernung der Metallmatrizen wurde die Restauration auf Imperfektionen kontrolliert und anschließend noch zusätzlich in beiden Approximalräumen für jeweils 10 s von bukkal und palatinal nachbelichtet.
Nach Abnahme des Kofferdams wurde die direkte Kompositrestauration sorgfältig mit rotierenden Instrumenten (okklusal) und abrasiven Scheibchen (approximal) ausgearbeitet und die statische und dynamische Okklusion adjustiert. Danach wurde mit diamantimprägnierten Silikonpolierern (Dimanto, VOCO GmbH, Cuxhaven) eine glatte und glänzende Oberfläche der Restauration erzielt. Abbildung 18 zeigt die fertige direkte Kompositrestauration, welche die ursprüngliche Zahnform mit anatomisch funktioneller Kaufläche, physiologisch gestalteten Approximalkontakten und ästhetisch hochwertiger Erscheinung wiederherstellt. Das abschließende Röntgenbild zeigt die gefüllte Kavität mit perfekter Adaptation des Füllungsmaterials und illustriert die gute Röntgenopazität von VisCalor (Abb. 19). Final wurde mit einem Schaumstoffpellet Fluoridlack (Bifluorid 12, VOCO GmbH, Cuxhaven) auf die Zähne appliziert.
Fazit
Die Bedeutung direkter Füllungsmaterialien auf Kompositbasis wird in der Zukunft weiter zunehmen. Es handelt sich hierbei um wissenschaftlich abgesicherte und durch die Literatur in ihrer Verlässlichkeit dokumentierte, hochwertige permanente Versorgungen für den kaubelasteten Seitenzahnbereich [26–33]. Gemäß der aktuellen S1-Leitlinie der DGZ und der DGZMK zu Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich aus dem Jahr 2016 (AWMF-Registernummer: 083–028) können diese Restaurationen nach der aktuellen Datenlage zur Versorgung von Klasse-I- und -II-Kavitäten erfolgreich im Seitenzahnbereich eingesetzt werden [34].
Die Ergebnisse einer umfangreichen Übersichtsarbeit haben gezeigt, dass die jährliche Verlustquote von Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich (2,2%) statistisch nicht unterschiedlich zu der von Amalgamfüllungen (3,0%) ist [28]. Neben den normalen Kompositen steht dem Behandlungsteam im Bereich der plastischen Adhäsivmaterialien nun auch noch eine Materialvariante mit thermisch gesteuertem Viskositätsverhalten zur Verfügung.
Der Experte
Prof. Dr. Jürgen Manhart
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Uniklinik München, bietet Fortbildungskurse im Bereich der ästhetisch-restaurativen Zahnheilkunde an.
Facebook: prof.manhart; Instagram: prof.manhart