Fallstricke der digitalen Dokumentation

Jeder Praxisinhaber sollte sich vergewissern, dass die von ihm benutzte Software nachträgliche Änderungen der Dokumentation zwar zulässt, diese aber fälschungssicher dokumentiert. Ist eine nachträgliche Manipulation oder Löschung einer Änderungsdokumentation möglich, verliert die Dokumentation im Haftungsprozess den Beweiswert als Gegenstand des Augenscheinbeweises. Denn anders als „Papier“ handelt es sich nicht um Urkunden.


digitalen Dokumentation

2 Im Falle einer elektronisch geführten Patientenakte muss die eingesetzte Softwarekonstruktion gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden. © momius – stock.adobe.com


Im digitalen Zeitalter stellt sich mehr und mehr die Frage, wie eine ordnungsgemäße Dokumentation der Behandlung auszusehen hat. Moderne Zahnarztpraxen funktionieren dabei schon weitestgehend papierfrei. Grundsätzlich ist dagegen auch nichts einzuwenden, wobei in einigen Bereichen die rein digitale Praxis noch an Grenzen stößt. Beispielhaft erwähnt seien hier die abweichenden Vereinbarungen nach der GOZ sowie die Zuzahlungen bei Füllungen (§ 28 Abs. 2 S. 4 SGB V) und kieferorthopädischen Behandlungen (§ 29 Abs. 7 S. 1 SGB V). In diesen Bereichen gilt die gesetzliche Schriftform, die zwar durch die elektronische Form ersetzt werden kann, was jedoch gem. § 126a BGB eine qualifizierte elektronische Signatur erfordert und im Behandlungsverhältnis kaum einzuhalten sein wird. Wie aber verhält es sich mit der rein EDV-gestützten digitalen Dokumentation der Behandlung?

Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes (Februar 2013) findet sich mit § 630f eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), die Regelungen zur Dokumentation der Behandlung trifft. Danach kann eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch geführt werden. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für die elektronisch geführten Patientenakten sicherzustellen.

Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof (BGH) einem richtungsweisenden Urteil vom 27.04.2021 (IV ZR 84/19) unter anderem folgenden Leitsatz vorangestellt:

„Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630f Abs. 1 S. 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, kommt keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist.“

Ziel: Fälschungsfreiheit

Das Ziel der gesetzlichen Neuregelung, so der BGH unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung, sei, eine fälschungssichere Organisation der digitalen Dokumentation sicherzustellen. Deshalb müsse im Falle einer elektronisch geführten Patientenakte die eingesetzte Softwarekonstruktion gewährleisten, dass nachträgliche Änderungen erkennbar werden. Einer digitalen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630f Abs. 1 S. 2 und 3 BGB nicht erkennbar mache, komme in der Beweisführung im Prozess keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass eine dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist. Anders als bei herkömmlichen oder maschinenschriftlichen Dokumentationen, bei der nachträgliche Änderungen durch Streichung, Radierung, Einfügung oder Neufassung regelmäßig auffallen, bietet die mit Hilfe einer – nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machenden – Software geführte elektronische Dokumentation jedem Zugriffsberechtigten die Möglichkeit, den bisher aufgezeichneten Inhalt in kurzer Zeit, mit geringem Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nachträglich zu ändern. Darüber hinaus besteht die Gefahr einer versehentlichen Löschung oder Veränderung des Inhalts. Einer solchen Dokumentation fehlt es daher an der für die Annahme einer Indizwirkung erforderlichen Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit. Sie rechtfertigt nicht den Ausreichend sicheren Schluss, die dokumentierte Maßnahme sei tatsächlich erfolgt.

Augenscheinbeweis statt Urkunde

Von Bedeutung ist dies, weil elektronische Dokumente im Zivilprozess Gegenstand des Augenscheinbeweises sind. Es handelt sich also, anders als bei handschriftlichen Aufzeichnungen, nicht um Urkunden. Ihr konkreter Beweiswert unterliegt der freien Beweiswürdigung. In der Instanzenrechtsprechung wurde einer elektronischen Dokumentation in der Vergangenheit grundsätzlich auch dann, wenn Sie nachträgliche Änderungen nicht automatisch sichtbar machte, der volle Beweiswert eingeräumt, sofern die Dokumentation medizinisch plausibel war und der Arzt nachvollziehbar darlegte, keine Änderungen vorgenommen zu haben. Genau dieser Ansatz ist aber nach dem zitierten Urteil des BGH nicht mehr haltbar. Die Indizwirkung einer solchen EDV-Dokumentation fehlt auch dann, wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlegt, dass die Dokumentation nachträglich zu seinen Lasten geändert worden ist.

Da der Patient außerhalb des maßgeblichen Geschehensablauf steht, ist er regelmäßig nicht in der Lage, Anhaltspunkte für eine bewusste oder versehentliche nachträgliche Änderung der Dokumentation vorzubringen. Ein Richter darf zwar auch eine solche elektronische Dokumentation nicht gänzlich unberücksichtigt lassen. Er muss sie als tatsächlichen Umstand bei seiner Überzeugungsbildung einbeziehen, dabei allerdings auch die fehlende Änderungssicherheit einer kritischen Würdigung unterziehen.

Für die Praxis bedeutet dies, dass sich jeder Praxisinhaber vergewissern sollte, dass die von ihm benutzte Software nachträgliche Änderungen der Dokumentation zwar zulässt, diese aber wiederum fälschungssicher dokumentiert, d.h. die ursprüngliche Version erkennen lässt und die Änderungen mit Datum erfasst. Eine nachträgliche Manipulation oder Löschung dieser Änderungsdokumentation darf nicht möglich sein. Anderenfalls verliert die Dokumentation im Haftungsprozess den Beweiswert als Gegenstand des Augenscheinbeweises.

Der konkrete Fall

Relevant kann dies insbesondere im Hinblick auf die durch die Rechtsprechung entwickelte und inzwischen gesetzlich geregelte Beweislastumkehr bei lückenhafter Dokumentation sein. Medizinisch gebotene Maßnahmen sind zu dokumentieren. Unterbleibt dies, wird unterstellt, dass diese nicht durchgeführt wurden. Im entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob eine Augenhintergrundspiegelung unter Weitstellung der Pupillen erfolgt ist oder nicht. In der nicht gegen Änderungen gesicherten Dokumentation war dies zwar so festgehalten. Aufgrund der fehlenden Sicherung gegen nachträgliche Änderungen aber genügte diese Dokumentation nicht den gesetzlichen Anforderungen. Damit war nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs von einem Befunderhebungsfehler auszugehen, da die medizinisch gebotene und damit dokumentationspflichtige Maßnahme (Augenhintergrundspiegelung unter Pupillenweitung) nicht (ordnungsgemäß) dokumentiert war und damit als unterblieben gelten musste.

Was Praxen drohen kann

Übertragen auf eine zahnärztliche Behandlung könnte dies etwa eine Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, ob ein PSI-Status erhoben, das Knochenangebot vor Implantation ausreichend ermittelt oder funktionsanalytische Maßnahmen vor einer prothetischen Versorgung durchgeführt wurden. Darüber hinaus kann eine nach dieser Rechtsprechung nicht ausreichende Dokumentation auch im Hinblick auf die Durchführung der Risikoaufklärung vor Eingriffen keine Indizwirkung zugunsten der Durchführung der Aufklärung entfalten. Grundsätzlich erfordert eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung das mündliche Gespräch, der Patient ist mündlich über den Eingriff im Großen und Ganzen aufzuklären und auf spezielle Risiken gesondert hinzuweisen. Ist die Durchführung eines solchen Gespräches entsprechend dokumentiert, entfaltet diese Dokumentation Indizwirkung im Hinblick auf die Tatsache, dass der Patient tatsächlich auch mündlich aufgeklärt wurde. Kann damit ein sogenannter „Anbeweis“ erbracht werden, müssen die Gerichte dem weiter nachgehen und die Parteien zu dieser Frage persönlich anhören. Eine nicht gegen nachträgliche Änderungen gesicherte EDV wird aber nicht als „Anbeweis“ in diesem Sinne taugen.

Auswirkungen der digitalen Dokumentation auf Honorarforderungen

Außerhalb des Haftungsrechts kann die danach mangelhafte Dokumentation Auswirkungen im Hinblick auf die Beweislast bei Durchsetzung von Honorarforderungen oder die Abwehr von Rückforderungen der Prüfgremien haben. Der Zahnarzt trägt die Beweislast für die Durchführung konkreter Maßnahmen oder bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen für Praxisbesonderheiten. Fehlt es an der (ordnungsgemäßen) Dokumentation, kann die Durchsetzung der Vergütung oder die Abwehr der Rückforderung daran scheitern.

Damit bleibt als Fazit die dringende Empfehlung, für die Dokumentation nur Softwarelösungen zu verwenden, die gegen nachträgliche Änderungen gesichert sind, bzw. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen nur zulassen, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden ist.


Der Experte

Foto: privat

RA Jens-Peter Jahn
Fachanwalt für Medizinrecht in der Kölner Kanzlei michels.pmks Rechtsanwälte mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.
info@michelspmks.de