Das richtige Material für die Bissregistrierung
Registriermaterial ist nicht gleich Registriermaterial – mitentscheidend sind auch die Verformungskräfte bei der Bissnahme, wie Dr. Rainer Schöttl, Erlangen, in einer aktuellen Studie belegt hat. Im Interview liefert er ganz konkrete Entscheidungshilfen für die Wahl des richtigen Materials.
Herr Dr. Schöttl, bei den Registriermaterialien hat die Praxis die Qual der Wahl. Wie unterscheiden sich die jeweiligen Produkte? Nach welchen Kriterien sollen Anwender „ihr“ Material für die Bissregistrierung auswählen?
Schöttl: In der Zahnmedizin haben wir es oft mit kettenartigen Abläufen zu tun. Zwar ist die Versuchung groß, sich auf ein Glied in dieser Kette zu fokussieren, oder gar nur auf eines seiner technischen Details, doch das Endziel, dem diese Kette aus Abläufen dient, darf man dabei nicht aus den Augen verlieren. Bei der Modellübertragung ist dieses Endziel eine möglichst kontrollierte Position der Modelle im Artikulator. Bei der Montage des zweiten Modells dient das Bissregistrat als Schlüssel für die Wiederherstellung der antagonistischen Zahnbeziehungen zwischen den Modellzähnen in exakt der gleichen Zuordnung, die man zuvor im Mund des Patienten bestimmt hat.
Welche Eigenschaften müssen die Materialien für die Bissregistrierung aufweisen?
Schöttl: Zum Beispiel dürfen Materialien zur Bissregistrierung bei der Einformung der Zähne nicht zurückfedern oder verfließen. Die Einformungen müssen „bleitot“ festgehalten werden. Dafür muss das Material auf die untere Zahnreihe aufgetragen werden, ohne herunterzufließen. Am Ende muss ein exakt definierter, schaukelfreier Sitz auf den Modellen gewährleistet sein – und zwar in der Zuordnung, die den Zähnen im Mund des Patienten bei der Registrierung exakt entspricht. Dabei gibt es eine Menge von möglichen Störeinflüssen, die zu Fehlern während der Registrierung oder auch zu Passungsfehlern später auf den Modellen führen können. Die Verformungskraft ist einer dieser Störfaktoren.
Daneben existieren aber große Unterschiede im Verständnis der Funktion bzw. darüber, wie sich der Unterkiefer bewegt. Dementsprechend gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Registriertechniken. Bei diesen unterschiedlichen Registriertechniken kommt es dann durchaus auch zu unterschiedlichen Anforderungen an bestimmte Eigenschaften eines Registriermaterials.
Mit der propriozeptiven Steuerung von Bewegungen im neuromuskulären Funktionsbild und der mechanischen Steuerung durch die Kiefergelenke im gnathologischen stehen sich zwei recht unterschiedliche Auffassungen gegenüber. Diese Thema zu vertiefen würde den Rahmen dieses Interviews allerdings sprengen.
Die falsche Paarung von Verformungskraft und Registriermaterial ist eine Fehlerquelle. Dr. Rainer Schöttl
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Verformungskraft der Materialien?
Schöttl: Das ist unterschiedlich: Möchte man den Unterkiefer des Patienten mit der Hand von außen führen, um ihn zu bewegen wie einen Artikulator, so spielt die Verformungskraft des Registriermaterials nur dann eine Rolle, wenn man dabei auf taktiles Feedback Wert legt, etwa um die erste Berührung der Zähne tasten zu können. Bei neuromuskulären Bissnahmetechniken, besonders wenn sie, wie dies bei der Myozentrik der Fall ist, frei erfolgen, steht eher im Vordergrund, dass die Propriozeption des Patienten durch das Registriermaterial möglichst wenig gestört wird. Man kann dies mit dem Prozess vergleichen, der es einem ermöglicht, die Fingerspitze auch mit geschlossenen Augen zielgenau zur Nasenspitze zu führen.
Dies wird immer schwieriger, je mehr man dabei durch etwas abgelenkt wird, was die freie Bewegung verfälscht. Das Gegenteil dazu wären forcierte Bissnahmen in einer Grenzstellung der Kiefergelenke, für die man ebenso gut einfache Wachsplatten verwenden kann.
Je mehr der Zahnarzt bei der geführten Bissnahme also tasten können möchte, und je weniger die patienteneigene Bewegung bei ungeführten Bissnahmen verfälscht werden soll, desto wichtiger wird eine möglichst kraftarme Verformung des Registriermaterials. Bei der Myozentrik leitet sich die Bisslage beispielsweise freischwebend aus einer zuvor durch Lösung von Muskelverspannungen therapierten Ruhe-Schwebe ab. Ideal wäre ein Registriermaterial, von dessen Präsenz der Patient überhaupt nichts spürt, sodass seine Propriozeption nicht gestört wird. Ganz lässt sich das natürlich mit keinem Material erreichen, aber man kann dem ziemlich nahekommen!
Wie wichtig ist dabei die Abbindegeschwindigkeit des Materials?
Schöttl: Sehr wichtig. Geht es lediglich darum, eine Kieferposition zu verschlüsseln, so birgt eine lange Abbindung die Gefahr, dass man so lange nicht ruhig halten kann und das Registrat verwackelt. Eine kurze Abbindezeit wie bei Futar D Fast kommt einem da sehr entgegen. Als Beispiel mag hier die Bissregistrierung in zwei Phasen dienen, die wir mit dem FreeBite air entwickelt haben:
- Hier wird zuerst ein Frontzahnschlüssel erstellt, während der Patient den FreeBite zwischen den Seitenzähnen auf die gewünschte Höhe komprimiert.
- Im zweiten Schritt wird der FreeBite dann durch Registriermaterial ersetzt, während der Patient die Zähne wieder locker in diesen Schlüssel fügt. Dabei ist eine weitere Eigenschaft – die Endhärte – wichtig. Denn der Patient kann seine Frontzähne wesentlich präziser in einen harten Schlüssel legen als in einen elastischen.
Neben Handling und Präzision beeinflussen vor allem die Verformungskräfte eines Materials zur Bissregistrierung den Erfolg oder Misserfolg einer Bissnahme, wie Sie im Rahmen der im Oktober 2020 im Deutschen Ärzteverlag veröffentlichten Studie „Registriermaterialien und deren Verformungskräfte bei der Bissnahme“ gezeigt haben. Warum ist das so?
Schöttl: Eine geringe Verformungskraft kann in der oben beschriebenen Weise wichtig sein und doch erfasst man dabei nicht das gesamte Problem.
Aus welchem Grund?
Schöttl: Nehmen wir an, der Behandler verwendet ein Material zur Bisregistrierung, das ganz ohne Kraft an die Zahnreihen anfließt und möchte damit ein Registrat bei einem Patienten erstellen, der im
Unterkiefer eine einseitige Freiendprothese trägt. Dieser Freiendsattel würde nun mehr oder weniger auf dem Kieferkamm schwimmen, was zur Einstellung der Okklusion nicht taugt.
Was ist das Problem?
Schöttl: Bei der Okklusionsgestaltung geht es unter anderem darum, den Bissdruck rechts und links gleichermaßen aufzufangen. Mit einem solchen Material würde die Okklusion auf dem Freiende immer zu tief gestaltet, denn im Artikulator kann er auf dem Gipsmodell nicht einsinken, im Mund auf der Schleimhaut hingegen doch etwas. Also muss man sich Gedanken darüber machen, wie man – etwa zum Zweck einer Remontage – die Modelle so im Artikulator einstellt, dass das finale Ziel der symmetrischen Abstützung im Biss optimal erreicht wird.
Wie kann das gelingen?
Schöttl: Entweder man setzt ein leicht verformbares Registriermaterial mit hoher Endhärte ein, registriert damit aber nur die Stellung der vorhandenen Zähne, falls sich so eine stabile Modellposition auf dem Registrat erreichen lässt, oder man erstellt das Registrat mit einem Material, das den Freiendsattel bei der Bissnahme belastet, indem es sich eben doch nicht so leicht verformen lässt, zum Beispiel ein Registrierwachs. Wie aber die Ergebnisse unserer Studie zeigen, wird das Mehrfache der Kraft benötigt, um solche Wachse an Zähne anzuformen. Das wiederum könnte zu einem Problem bei asymmetrisch bezahnten Kiefern führen, wenn auf einer Seite beispielsweise nur kleine Prämolaren in das Wachs hineinbohren, auf der anderen Seite jedoch auch Molaren großflächig auf den Wachs quetschen. Auch diese Unterschiede wurden in der Studie untersucht. Sie sind wichtig, weil eine asymmetrische Krafteinwirkung bei der Bissregistrierung aller Wahrscheinlichkeit nach zu Registrierfehlern führt. Auch in dem Fall ist man besser beraten, ein kraftarm verformbares Registriermaterial einzusetzen, sodass auch der Unterschied im Widerstand bei der Einformung auf der linken und rechten Seite möglichst gering ist. Das kann man aus den Messwerten ganz gut herauslesen.
Welche Rolle spielt dabei die Registriertechnik?
Schöttl: Zum einen sollte durch die Registrierung selbst der Unterkiefer nicht in eine Position verschoben werden, mit der die Kaumuskulatur des Patienten kaum noch zurechtkommt. Zum anderen müssen aber Registriertechnik und -material auch zusammenpassen. Eine myozentrische Bissregistrierung lässt sich zum Beispiel per definitionem nicht mit einem schwer verformbaren Registriermaterial durchführen. Am Ende muss sichergestellt werden, dass sich die gewünschte Zuordnung der Zahnbögen im Artikulator wiederfindet und nicht etwas anderes. Ich finde das ziemlich spannend, weil hier Wissenschaft, Handwerk und ein gewisses Maß an Kunst in einer faszinierenden Weise zusammenkommen!
Wie lässt sich die Verformungskraft von Materialien für die Bissregistrierung überhaupt messen?
Schöttl: Für unsere Studie wurden besonders feinfühlige Messinstrumente mit einem konstant einstellbaren Vorschub eingesetzt. Auch die Geschwindigkeit, mit der verformt wird, hat ja Einfluss auf die Kraft, die dafür nötig ist. Wir haben uns um eine weitreichende Standardisierung der einzelnen Variablen bemüht, sodass verfahrensbedingte Unterschiede vernachlässigbar sind und sich die entsprechenden Parameter bei den Versuchen möglichst nahe an den klinischen Abläufen orientieren.
Gibt es eine Art „Hausnummer“ für die richtige Höhe der Verformungskraft, an der sich ein Anwender orientieren kann? Steht die zum Beispiel auf der Verpackung oder in der Produktbeschreibung?
Schöttl: Einen solchen Parameter neben der Endhärte und der Verarbeitungszeit eines Materials zur Bissregistrierung anzugeben, würde ich für durchaus sinnvoll halten! Allerdings kann es sich dabei nur um einen Vergleichswert handeln, den man normieren müsste. Denn der genaue Wert wird von etlichen Faktoren – einige davon haben wir schon angesprochen – beeinflusst.
Wie lautet die Quintessenz aus der von Ihnen begleiteten Studie?
Schöttl: Es war spannend, diese Studie überhaupt durchführen zu können. Ich bin Kettenbach Dental sehr dankbar dafür, dass mir hierfür das gut ausgestattete Forschungslabor und die tatkräftige Unterstützung von Technikern zur Lösung etlicher Problemstellungen zur Verfügung gestellt wurde.
In der Zahnmedizin, und hier vor allem in der Prothetik, ist ein hohes Maß an Präzision erforderlich. Das menschliche Kausystem hat neben anderen Funktionen (was aus dem Lateinischen übersetzt so etwas wie „Aufgabenstellungen“ bedeutet) auch die der Anpassungsfähigkeit. Wie andere Körpersysteme ist es dabei redundant geregelt, so dass Fehler nicht unbedingt auffallen, sondern kompensiert werden und somit unbemerkt bleiben. Da wir oft eine viel zu abstrakte und simplizistische Vorstellung von der Funktion des menschlichen Kausystems haben, verstehen wir in der Folge auch seine Dysfunktion nicht so recht. Manchmal wenden wir uns deshalb emotionalen Faktoren zu – oder gar Hormonen und Genen – statt solchen Kompensationen und den Muskeln, die sie leisten müssen. Meist spielen diese Muskeln keineswegs verrückt, sondern werden von diesen Kompensationen irgendwann überfordert!
Wie lautet Ihr Fazit zu Materialien zur Bissregistrierung?
Schöttl: In meinem beruflichen Leben bin ich meinem Vater darin nachgefolgt, dass ich stets bemüht war, Fehler in den bereits erwähnten Ablaufketten aufzudecken, die oft dort liegen, wo kaum jemand sucht. Eine mögliche Fehlerquelle ist die Bissnahmetechnik selbst, wenn man einem Patienten von außen eine fremde Bissposition gibt, die sich so nicht von selbst hätte entwickeln können. Diese Bissposition definiert fortan den harten Anschlag für Kieferbewegungen und gleichzeitig die anzusteuernde Endposition in allen sechs Freiheitsgraden. Dem entsprechend muss der Patient künftig alle seine Kieferbewegungen auf dieses Ziel ausrichten, auch wenn dies für die Muskulatur u. U. problematisch ist. Daraus können dann Symptome resultieren, die wir schlecht zuordnen können. Denn, wenn wir dem Patienten Okklusionsprüffolie zwischen die Zähne legen, vermag er seine okklusalen Kontakte anzuzeichnen und alles scheint in Ordnung, obwohl es seinen Kaumuskeln sehr schlecht geht.
Solche Fehler können aber auch unabsichtlich entstehen und bleiben aber dann aufgrund der Anpassungsfähigkeit des Kausystems ebenso unbemerkt. Die falsche Paarung zwischen Verformungskraft und Registriertechnik bzw. ein für die Situation unpassendes Registriermaterial ist eine mögliche Quelle für solche Fehler, der bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dieser Fragestellung wollte ich in der Studie zur Verformungskraft von Registriermaterialien nachgehen, und zwar in einem praxisnahen Kontext bei der Versuchsanordnung.
Ich würde mich freuen, wenn diese Veröffentlichung die Grundlage für weitere Studien in dieser Richtung bildet und sich daraus gleichzeitig praxisnahe Tipps für meine Kollegen ergeben!
Inwieweit beeinflusst die Präsenz des Registriermaterials die Bissnahme? Diese Fragestellung bildet die Basis für die Studie „Registriermaterialien und deren Verformungskräfte bei der Bissnahme“, die 2020 im Deutschen Ärzteverlag veröffentlicht wurde. Ziel war es, die Verformungskräfte verschiedener Registriermaterialien möglichst genau unter praxisnahen Bedingungen zu messen, um spezifische Erkenntnisse zum Einsatz dieser Materialien bei unterschiedlichen Registriertechniken zu erlangen. Da die Verformungskraft auch eine Funktion der Materialverdrängung ist, wurde außerdem gemessen, wie groß der Unterschied in der benötigten Kraft ist, wenn die Bezahnung links und rechts asymmetrisch ist und z.B. auf einer Seite nur bis zum zweiten Prämolaren reicht, auf der anderen hingegen bis zum zweiten Molaren.
Der Experte
Dr. Rainer Schöttl
studierte Zahnmedizin in den USA und übernahm 1990 die Leitung des von seinem Vater gegründeten Instituts für Temporo-Mandibuläre Regulation, Erlangen.
rs@itmr.eu