GOÄ-Ziffer 75: Viel Papier um Nichts?
Er ist nicht beihilfefähig, wird oft von Patienten hinsichtlich der Berechnungsfähigkeit und Berechnung hinterfragt und ist deshalb vielfach ein Ärgernis. Dennoch ist er aus dem Praxisalltag nicht wegzudenken – der ausführliche schriftliche Krankheits- und Befundbericht nach der GOÄ-Ziffer 75.
Die vollständige Leistungsbeschreibung der GOÄ lautet: „Ausführlicher schriftlicher Krankheits- und Befundbericht (einschließlich Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung und gegebenenfalls zur Therapie)“. Die Berechnungsbestimmung dazu lautet: „Die Befundmitteilung oder der einfache Befundbericht ist mit der Gebühr für die zugrundeliegende Leistung abgegolten.“
Was macht diese Leistung so herausfordernd im alltäglichen Umgang? Beim Blick auf die Kommentierung der Ä75 fällt sofort folgender Passus auf: „… Die Ziffer Ä75 ist eine vom Patienten/ Zahlungspflichtigen oder der kostenerstattenden Stelle/Behörde o. Ä. angeforderte Leistung, die dem Anforderer in Rechnung gestellt wird.“ Das ist allerdings selten der Fall, dass entweder ein Patient direkt oder eine kostenerstattende Stelle zielgerichtet einen Arztbericht anfordert. Dennoch werden pro Jahr unzählige Arztbriefe in Deutschland erstellt, also eine überflüssige Aktivität?
Mitnichten: So urteilte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Mai (24.06.2003, Az. 21 BG 3373/02) zu den ärztlichen Berufspflichten wie folgt: „Zur gewissenhaften Berufsausübung zählen auch die Behandlungsgrundsätze als vertragliche Nebenpflichten und damit also auch die Pflicht, für die mit- oder weiterbehandelnden Ärzte die erforderlichen Patientenberichte zeitgerecht zu erstellen. (HBG § 22, BO § 2 Abs. 3) … Zu den ärztlichen Berufspflichten zählt auch die Pflicht zur zeitnahen Erstellung eines Arztbriefes und dessen Weiterleitung an den nachbehandelnden Arzt.“ Fazit: Der ausführliche Arztbrief ist nicht nur auf Anforderung berechnungsfähig, sondern auch, wenn er zur Kooperation von Ärzten untereinander erforderlich ist.
Was gilt es bei der korrekten Berechnung zu beachten?
Gerade für Praxen, die rein auf Zuweisertätigkeit hin agieren, wie zum Beispiel mund-, kiefer- und gesichtschirurgische oder radiologische Praxen, ist folglich das Erstellen eines ausführlichen, schriftlichen Krankheits- und Befundberichts eine alltägliche Tätigkeit. Was gilt es nun bei der korrekten Berechnung zu beachten?
Da ist zunächst die Frage zu klären, was bedeutet eigentlich „ausführlich“? Damit der Begriff „ausführlich“ zutrifft, muss ein Arztbericht Folgendes enthalten: für den Fall eines Krankheitsberichts die Diagnose, gegebenenfalls eine Differenzialdiagnose, und für den Fall eines Befundberichts die Ausprägung, Symptomatik der Erkrankung, außerdem die Anamnese (spezielle Vorgeschichte) sowie gegebenenfalls prognostische Angaben zur Epikrise. Zusätzlich können Angaben zur Therapie gemacht werden, diese sind jedoch fakultativer Art, sie stellen nicht unbedingt einen erforderlichen Leistungsinhalt dar. Allgemein kann zur Ausführlichkeit noch Folgendes festgestellt werden: Wenn der Bericht mindestens drei Sätze beziehungsweise Satzteile oder mehr enthält (zur Anamnese, zum Befund, zur Krankheit (Diagnose/Epikrise)), ist die Ä75 wohl zutreffend berechnet. Ist der Umfang eines solchen Schreibens geringer, ist eher die Ä70 die zutreffende Leistung.
Sichere Verschlüsselung der Daten geboten
Der ausführliche schriftliche Krankheits- und Befundbericht nach Ä75 kann hinsichtlich seiner Form als „klassischer“ Brief in Erscheinung treten, möglich wären aber auch eine Notiz oder eine formlose Niederschrift. In Zeiten moderner Datenübertragung fällt unter den Begriff „schriftlich“ aber natürlich auch der Informationstransfer via E-Mail. Aufgrund der hohen Anforderungen im Datenschutzbereich ist jedoch eine sichere Verschlüsselung der Daten geboten.
Wichtig: Die bloße Befundmitteilung beziehungsweise ein einfacher Befundbericht ist mit der Gebühr für die zugrunde liegende Leistung abgegolten; das Gleiche gilt im Umkehrschluss für den reinen Krankheitsbericht ohne Befundmitteilung etc. Gleiches gilt für Befundmitteilungen zu Röntgenaufnahmen: Diese sind ebenfalls mit den Gebühren nach Ä5000, Ä5002, Ä5004 ff. abgegolten.
Zur Ä75 können Porto- und darüber hinaus auch gegebenenfalls Versandkosten gemäß § 10 Abs. 1 Punkt 2. GOÄ hinzukommen. Allerdings: Schreibgebühren nach Ä95, Ä96 sind zusätzlich zur Ä75 nicht ansatzfähig. Wenn der ausführliche Krankheits- und Befundbericht nicht schriftlich, sondern zum Beispiel ausschließlich telefonisch erfolgt, kann allenfalls die geringer bewertete Ä60 (Konsilium zweier Ärzte) für den teilnehmenden Arzt/Zahnarzt infrage kommen, der sich mit dem Patienten zuvor oder im zeitlichen Zusammenhang befasst hat.
Ausdrücklich nichts hat die Ä75 mit Auskunftsbegehren privater Krankenversicherer und Kostenerstatter im Rahmen der Feststellung der Leistungspflicht zum Beispiel nach Vorlage eines Therapie- und Kostenplans zu tun.
Unstrittig ist: Für Auskünfte oder die Übersendung von abgelichteten Krankenunterlagen, Fotokopien der Röntgenaufnahmen, Duplikaten der Modelle etc. kann der Zahnarzt gegenüber dem Patienten eine Vergütung verlangen.
Vergütung erfolgt nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches
Zahlreiche Kostenerstatter und Krankenversicherer sind der Ansicht, diese Tätigkeit müsse nach GOÄ-Nr. 75 vergütet werden. Diese Einschätzung ist jedoch nicht zutreffend, denn es handelt sich weder um eine heilberufliche Leistung des Zahnarztes gem. § 1 Abs. 1 GOZ noch um eine zahnmedizinisch notwendige Leistung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 GOZ. Bei einem Auskunftsersuchen handelt es sich wiederum auch nicht um ein Attest oder ein Gutachten – die Auskünfte dienen vielmehr der Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers. Infolgedessen erfolgt die Vergütung nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), den § 612 Abs. 1 i. V. m. § 670 BGB. Die Höhe der Vergütung setzt sich daher aus den Kosten zusammen, die dem Zahnarzt beispielsweise durch Anfertigung von Kopien entstanden sind, sowie aus dem Zeitaufwand für die jeweilige Auskunftserteilung.
Zahlreiche Landeszahnärztekammern haben sich zu dieser Thematik ähnlich geäußert, stellvertretend sei die Einschätzung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe genannt: „Fordern private Krankenversicherer direkt beim Zahnarzt die weitergehende Ausfüllung umfangreicher Fragebögen oder die Erstellung ausführlicher Bescheinigungen an, kann dies nur auf Grundlage eines eigenständigen Werkvertrages gemäß § 631 ff. BGB erfolgen.
Verlangt ein Patient, auch initiiert durch seine Versicherung, vom Zahnarzt die Beantwortung umfangreicher Anfragen, so ist diese Leistung aufgrund fehlender zahnmedizinischer Notwendigkeit (§ 1 Abs. 2 GOZ) als Leistung auf Verlangen unter Beachtung der Bestimmungen des § 2 Abs. 3 GOZ berechnungsfähig.
In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gemäß § 1 Abs. 3 Zahnheilkundegesetz. Die Gebührenpositionen der GOZ/GOÄ kommen daher nicht zur Anwendung, da sie den Fall einer Auskunftserteilung an private Krankenversicherungen nicht erfassen.
Steffi Scholl
ist Abrechnungsspezialistin und arbeitet seit 2011 bei der ZA Zahnärzt‧lichen Abrechnungsgesellschaft AG in Düsseldorf in der GOZ-Fachabteilung.
sscholl@zaag.de