Dürfen krankgeschriebene Mitarbeiter verreisen?
Eine Krankschreibung muss nicht zwingend bedeuten, dass das Bett gehütet werden muss. In welchen Fällen ein Wechsel des Aufenthaltsorts trotz Krankschreibung zulässig ist und was Sie als Arbeitgeber bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit Ihrer Mitarbeiter unternehmen können, lesen Sie hier.
Solch einen Sachverhalt hatte das Landesarbeitsgericht Hamm zu entscheiden. Während eine Mitarbeiterin krankgeschrieben war, verbrachte sie Urlaubstage auf Sylt und schrieb auf Facebook: „( … ) wunderbaren Urlaub auf Sylt mit meinem Liebsten verbracht … morgen geht’s leider schon wieder nach Hause ( … )“. Das nahm der Arbeitgeber nicht nur zur Kenntnis, sondern auch zum Anlass, der Mitarbeiterin fristlos zu kündigen. Der Fall kam vor Gericht und war nun zu entscheiden: Ist ein Urlaub trotz Krankschreibung zulässig?
Das zweitinstanzliche Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13.03.2015 (Az. 1 Sa 1534/14) brachte die Klarstellung. Die Kündigung war unwirksam. Der Arbeitgeber konnte nicht nachweisen, dass die Erkrankung nur vorgetäuscht war.
Arbeitgeber muss Beweise für Zweifel an Arbeitsunfähigkeit anführen
Nach den Beweislastregeln im Sinne des Kündigungsschutzes muss der Arbeitgeber das Vorliegen der Kündigungsgründe beweisen. Vorliegend musste der Arbeitgeber also den Beweis führen, dass die Mitarbeiterin nicht wirklich arbeitsunfähig war. Dazu musste die Krankschreibung an sich angezweifelt werden. Das aber ist nicht so einfach, da einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein großer Beweiswert zukommt und sie die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich hat. Das Gericht führt dazu aus: „Erhebt der Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat … und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern … .“
Urlaub trotz Krankschreibung
Im konkreten Fall basierte die Krankschreibung auf einer „Reaktion auf eine schwere pyschische Belastung“. Die Mitarbeiterin litt unter eine Belastungsreaktion. Beim Besuch ihrer Ärztin, die sie krankgeschrieben hat, berichtete sie über ihren Plan, nach Sylt zu fahren. Die Ärztin habe diesen Aufenthalt angesichts ihres Krankheitsbildes sogar empfohlen. Im Ergebnis jedenfalls behinderte die Erkrankung nicht die freie Bewegung der Mitarbeiterin, sodass sie nach Sylt reiste.
Der Wechsel des Aufenthaltsorts während einer Krankschreibung stellt nicht pauschal ein Fehlverhalten dar, das eine Kündigung rechtfertigen könnte. Das Gericht formuliert in zweiter Instanz: „Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht bedeutet, der Arbeitnehmer müsse sich ausschließlich zu Hause, möglicherweise auch zu Bett aufhalten. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nach § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG, wenn ein Arbeitnehmer infolge Erkrankung an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Damit muss ein Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankung und Arbeitsverhinderung bestehen. Dieser Ursachenzusammenhang kann vielfältiger Art sein und auch, aber nicht notwendig dazu führen, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, sein häusliches Umfeld zu verlassen. Liegt der attestierten Arbeitsunfähigkeit eine ‚Reaktion auf eine schwere psychische Belastung‘ zugrunde und soll dies den nötigen Ursachenzusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit begründen, ist nichts dafür ersichtlich, dass ein einwöchiger Aufenthalt auf einer Nordseeinsel damit nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.
Ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Um dies festzustellen, bedarf es keines ärztlichen Sachverstands. Es ist nicht die – therapeutische – Frage zu beantworten, ob ein einwöchiger Aufenthalt auf Sylt – sei es nun Urlaub oder nicht – den Heilungsprozess fördert. Das Gericht muss nach den zuvor dargestellten Rechtsgrundsätzen allein entscheiden, ob das Verhalten der Klägerin zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass gibt, weil die Aktivitäten der Klägerin sich mit dem Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Dieser Inhalt besteht darin, dass die Klägerin aufgrund einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung nicht in der Lage war, ihrer Arbeit bei der Beklagten nachzukommen. Auch das Berufungsgericht kann an einem einwöchigen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel, den die Klägerin gemeinsam mit ihrem Freund verbracht hat, nichts erkennen, was geeignet wäre, die vermutete Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ernsthaft in Zweifel zu stellen.“
Urlaubsfotos und Facebook-Posts nicht unbedingt Beweise für Täuschung
Auch die Darstellung über Facebook vermag nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine Kündigung zu rechtfertigen. Die dort eingestellten Fotos, die nach den Behauptungen der Beklagten eine frohgelaunte, glückliche und gesunde Frau zeigen, seien keine Tatsachen, die zu ernsthaften Zweifeln an der attestierten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Fotoanlagen gäben lediglich eine Momentaufnahme wieder. Das gelte auch für einen Eintrag über ein im Moment des Eintragens empfundenes Wohlbefinden. Bei einer attestierten Belastungsreaktion sprächen solche Eintragungen aber vor allem dafür, dass sich der erkrankte Arbeitnehmer auf dem Weg der Besserung befinde, und im Übrigen für die – nicht streitentscheidende – Behauptung der Klägerin, der Aufenthalt auf Sylt sei mit ihrer Ärztin besprochen und von dieser aus Gründen eines positiven Heilungsverlaufs empfohlen worden.
Keine Verpflichtung, zum Facharzt zu gehen
Der Arbeitgeber hatte zusätzlich mit dem Argument die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angegriffen, dass die attestierende Ärztin keine Fachärztin für derlei Erkrankungen sei. Das ließ das Gericht nicht gelten und äußerte sich dazu: „Ernsthafte Zweifel ergeben sich nicht daraus, dass die Ärztin, die die Klägerin behandelt und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hat, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin ist und keine für psychische oder psychiatrische Erkrankungen einschlägige Facharztausbildung aufzuweisen hat. Für das Berufungsgericht ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, warum eine Fachärztin für Allgemeinmedizin keine Reaktion auf eine schwere psychische Belastung diagnostizieren können sollte. Daran ändert auch die zweitinstanzliche Annahme der Beklagten nichts, die Klägerin habe versäumt, sich bei einem Facharzt vorzustellen.“
Urlaub trotz Krankschreibung: Fazit
Dieser Gerichtsfall ist wie jeder andere auch ein Einzelfall, sodass sich aus ihm keinesfalls ableiten lässt, ein Arbeitnehmer dürfe stets Urlaub trotz Krankschreibung machen. Es kommt immer darauf an, ob die Krankschreibung nur vorgetäuscht ist und ob tatsächlich eine objektive Arbeitsverhinderung vorliegt.
Die Expertin
Dr. Susanna Zentai
ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Dr. Zentai – Heckenbücker in Köln und als Beraterin sowie rechtliche Interessenvertreterin (Zahn-)Ärztlicher Berufsvereinigungen tätig.