Finanzen

Medizin braucht Management

Seit einigen Jahren zeichnet sich leise, aber doch stetig ein tiefgreifender Wandel in der bundesdeutschen Gesellschaft ab. Dieser Wandel wird sich auch auf die Unternehmen in der Gesundheits- und Sozialbranche auswirken. Drei große Trends kennzeichnen diese Veränderungen: der demografische Wandel, der Trend zu Übergewicht und Typ-2-Diabetes sowie die Zunahme von Demenzkrankheiten.



Demographischer Wandel

An erster Stelle ist hier der demografische Wandel zu nennen. In Deutschland werden immer weniger Menschen leben; von zurzeit etwa 82 Millionen Menschen wird die Bevölkerung auf circa 68 Millionen Menschen im Jahr 2050 schrumpfen. Dabei wird die Bevölkerungsgruppe im Alter von mehr als 67 Jahren um 55 Prozent größer, während die Geburtenrate und auch die Gruppe der Menschen im berufsfähigen Alter zwischen 18 und 67 Jahren kleiner werden. Da nun die meisten Gelder im Gesundheits- und Sozialwesen nicht aus Steuern, sondern aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen generiert werden, wird es in den kommenden Jahren zu sinkenden Einnahmen bei der sozialen Sicherung und damit zu rückläufigen Honoraren und Einnahmen im Gesundheits- und Sozialwesen kommen müssen.

Übergewicht und Typ-2-Diabetes

Der zweite große Trend ist das Übergewicht. Bedingt durch Fehlernährung und mangelnde Bewegung sind aktuell 55 Prozent der deutschen Frauen und fast 70 Prozent der deutschen Männer übergewichtig bis adipös. Dieser Trend ist in allen westlichen Industrienationen zu beobachten, die WHO spricht in diesem Zusammenhang von einer Epidemie. Aus diesem Übergewicht resultieren vor allem die Erkrankungen des Metabolischen Syndroms: stammbetonte Fettsucht, Bluthochdruck, Blutverfettung und Diabetes mellitus Typ 2.

Der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zufolge waren 2007 circa sieben Millionen Menschen am Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt. Die spannende Frage lautet nun: Was kostet ein Typ-2-Diabetiker im Jahr? Da Management etwas mit der Reduktion von Komplexität zu tun hat, könnte man hier zur Vereinfachung einen Wert von unter zehn Euro am Tag einsetzen und damit Kosten von etwa 3.000 Euro pro Jahr, dann käme man zu folgender Multiplikation:

7.000.000 Menschen × 3.000 Euro = 21.000.000.000 Euro

Da die Prognosen für die kommenden Jahre von einer Verdoppelung der Zahl der Typ-2-Diabetiker ausgehen, werden bis in das Jahr 2050 durch diese Krankheit Kosten von 50 Milliarden Euro erwartet.

Demenz

Ein weiterer großer Kostenblock wird durch die altersbedingte Zunahme der Demenzkrankheiten entstehen. 2007 wurden die durch Erkrankungen aus dem Formenkreis der Demenz verursachten Kosten auf 20 Milliarden Euro geschätzt. Auch hier wird bis 2050 wenigstens eine Verdoppelung prognostiziert.

Damit würden allein zwei Krankheitsbilder die Hälfte der zurzeit zur Verfügung stehenden Gelder aufbrauchen.

Angesichts dieses Szenarios ist es müßig, sich Gedanken über die Finanzierung des medizinisch-technischen Fortschritts oder über steigende Honorare zu machen.

Die entscheidende Erkenntnis liegt aber in der Tatsache, dass alle chronischen Krankheiten durch schulmedizinische Interventionen lediglich mehr recht als schlecht verwaltet werden und nicht geheilt werden können. Damit muss das Augenmerk weg von den bestehenden Strukturen hin auf Versorgungsformen gelenkt werden, in deren absolutem Mittelpunkt die Prävention des Metabolischen Syndroms und die Gesundheitsförderung stehen.

Fundamentaler Umbau

Aus der Analyse dieser Trends ergibt sich die Notwendigkeit eines fundamentalen Umbaus des Gesundheits- und Sozialwesens. Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren durch permanente Reformen die Rahmenbedingungen für diesen Umbau gesteckt: Er wünscht sich regional organisierte, schwerpunktmäßig ambulant erbrachte vernetzte Leistungen. Dies soll durch einen verstärkten Wettbewerb mit Selektivverträgen gestaltet werden. Und das Sozialwesen wird intensiver und enger an das Gesundheitswesen heranrücken.

Um dieser Entwicklung nicht passiv ausgesetzt zu sein, sondern sie aktiv gestalten zu können, müssen die klassischen Leistungserbringer sich mit neuem Wissen, neuen nicht fachlichen Fähigkeiten und neuen Denkmustern ausstatten: Sie brauchen Management

2010 lebten 15,2 Millionen Menschen in Deutschland, die 67 Jahre alt oder älter waren, dagegen 53 Millionen 18- bis 66-Jährige.

Im Jahr 2050 wird sich das Verhältnis gravierend verändert haben: 38,7 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 66 Jahren stehen 21,2 Millionen Senioren im Alter von 67 und mehr Jahren gegenüber.

Bildquelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2009

Prof. Dr. Michael Schütte, Vorsitzender der Gesellschaft für Statistik und Analyse im Gesundheitswesen, ist  Arzt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Management für Gesundheits- und Sozialberufe, für den Aufbau neuer Versorgungsformen, sektorenübergreifende Prozesse und Qualitätsmanagement.