So erkennen Sie Karies frühzeitig
Womöglich sind Bissflügelaufnahmen zur Kariesdiagnostik bald Schnee von gestern. Neue Tools für Intraoralscanner ermöglichen die Kariesdetektion zum frühesten Zeitpunkt. Bohren und Aufbauen ist out. Ein Paradigmenwechsel? Ja, antwortete Dr. Ingo Baresel im Interview.
Wie hat das Tool der Kariesdiagnostik per Intraoralscanner die Präventionsstrategie in Ihrer Praxis verändert?
Baresel: Wir nutzen den Intraoralscanner iTero Element 5D seit September 2018 und zur Kariesdiagnostik bei nahezu jedem Patienten. Im restaurationsfreien Gebiss sehen wir damit unglaublich genau und früh, ob und wo Karies entstehen könnte. Selbst kleinste Veränderungen werden sichtbar. Kurz: Wir diagnostizieren Karies deutlich früher und behandeln zum perfekten Zeitpunkt.
Besteht da nicht die Gefahr der Überdiagnostik?
Baresel: Die Gefahr besteht in der Tat. Es gilt behutsam vorzugehen. Denn man muss umdenken. Die neue Diagnostik zieht ein anderes Protokoll nach sich als die Röntgendiagnostik.
Inwiefern?
Baresel: Zeigt eine Bissflügelaufnahme kariöse Läsionen, sind diese real fast immer viel umfassender als vermutet. Das Near infrared imaging-System (NIRI) bildet dagegen fast exakt den Ist-Zustand ab. Dies wird meiner Ansicht nach die Strategie der konservierenden Therapie komplett umkrempeln.
Sprich, einen Paradigmenwechsel einleiten?
Baresel: Definitiv! In unserer Praxis ist der Schritt bereits vollzogen. Unser Fokus liegt auf dem Kariesmonitoring. Wir behandeln so minimalinvasiv wie möglich. Im approximalen Bereich werden wir Karies beispielsweise in Zukunft nur durch Versiegeln stoppen. Wir werden weniger Approximalkaries eröffnen müssen als in der Vergangenheit.
Verzichten Sie inzwischen auch auf Bissflügelaufnahmen?
Baresel: Komplett noch nicht, aber die Zahl der Röntgenaufnahmen hat sich deutlich reduziert. Bei Kindern, Jugendlichen und Patienten mit wenigen Füllungen läuft die Kariesdiagnostik fast ausschließlich per Intraoralscanner. Bei Patienten mit vielen Restaurationen stehen aber nach wie vor alle drei Jahre Bissflügelaufnahmen an, bei auffälligen Patienten auch in kürzeren Intervallen.
Wie integriert sich die neue Kariesdetektion in Ihren Workflow?
Baresel: Völlig unproblematisch. Unser iTero Element 5D ist von früh bis spät in Betrieb. Er ist batteriebetrieben; brauche ich ihn spontan, habe ich ihn in jedem Behandlungszimmer sofort zur Hand. Nach Eingabe des Patientennamens kann man direkt mit der Diagnostik starten.
Die Kariesdiagnostik funktioniert doch nicht nur mit dem Intraoralscanner iTero 5D. Was läuft bei dem neuen Tool anders?
Baresel: Der iTero nutzt die Nahinfrarottechnologie, die sich von der Transillumationstechnologie, die beispielsweise 3Shape und Planmeca verwenden, unterscheidet. Ich halte die Nahinfrarottechnologie für einfacher und schneller.
Warum?
Baresel: Weil sich während des Scanvorgangs bereits die Daten für die Kariesdetektion erheben lassen. Ein zusätzlicher Scan erübrigt sich. Bei allen anderen Anbietern müssen die Scanköpfe gewechselt und es muss ein zusätzlicher Scan durchgeführt werden. Das kostet Zeit.
Lassen sich iTero-Vorgängermodelle entsprechend aufrüsten?
Baresel: Ja, mit dem 5D-Handstück und entsprechender Software lässt sich der iTero Element 2 upgraden.
Delegieren Sie die Kariesdiagnostik mit dem Intraoralscanner an Ihre ZFA?
Baresel: Ich delegiere die Durchführung des Kariesscans, aber nicht die Diagnostik des Scans. Das ist Aufgabe des Zahnarztes. Grundsätzlich lässt sich beim Scannen sehr viel delegieren, nicht delegierbar sind neben der Diagnostik meines Erachtens auch restaurative Scans. Wer die Präparation durchführt, sollte meiner Meinung nach auch die Abformung verantworten, egal ob sie analog oder digital ist.
Wie hat sich mit dem neuen Tool die Patientenkommunikation verändert?
Baresel: Das Tool hat die Kommunikation enorm verbessert. Der Patient sieht endlich, warum ich ihm eine Behandlung vorschlage.
Aber die Bissflügelaufnahme zeigt das doch auch …
Baresel: Aber nicht für den Patienten nachvollziehbar. Auf der Bissflügelaufnahme sieht er graue Wolken, salopp gesagt. Das NIRI-Tool macht die kariöse Läsion auch für den Laien sichtbar. Die Läsion stellt sich kreideweiß dar. Und nach der Behandlung zeige ich dem Patienten mithilfe der Intraoralkamerafunktion, die ebenfalls im Scanner verbaut ist, ganz genau, was wir warum behandelt haben.
Wer viele Füllungen oder Restaurationen hat, bleibt aber außen vor, sprich, er muss sich mit der Bissflügelaufnahme zufrieden geben?
Baresel: Leider, man sieht an den Rändern zwar die Entwicklungen, aber gerade im approximalen subgingivalen Bereich unter der Restauration nicht.
Welche weiteren Verbesserungen wünschen Sie sich mit Blick auf die Kariesdiagnostik per Intraoralscanner?
Baresel: Eine Monitoringfunktion.
Vergleichbar mit der schon integrierten Monitoringfunktion für Abrasionen und Zahnbewegungen?
Baresel: Korrekt. Die Kariesscans sollten überlagert werden können, sodass der Behandler den Vergleich der Situationen zwischen den unterschiedlichen Recalls auf Anhieb sieht.
Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Kariesdiagnostik von morgen aus?
Baresel: Der Scanner schlägt vor, welche Areale genauer betrachtet werden sollten, sprich: Künstliche Intelligenz interpretiert die Kariesdetektion. So weit sind wir davon gar nicht entfernt.
Wie soll das funkionieren?
Baresel: Aus den Scans und der Interpretation verschiedener Experten lernen die Algorithmen. Ob dies nun Deep Learning ist oder AI, ist mir egal. Es wird in der Zukunft weiter Einfluss in der Medizin gewinnen.
Der Experte
Dr. Ingo Baresel
ist seit 1999 niedergelassen in der Gemeinschaftspraxis Dres. Baresel in Cadolzburg. Schwerpunkte: Parodontologie, Kieferorthopädie.
Baresel ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für digitale orale Abformung.