Adhäsive Materialien

Minimaler Aufwand

Die Möglichkeiten von adhäsiven Materialien haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Ob ästhetische monolithische Restaurationen, Adhäsivbrücken oder die Befestigung von Vollkeramikkronen – vieles geht, und das in den meisten Fällen minimalinvasiv – ein großer Vorteil für die Patienten. Drei Experten geben in diesen Interviews einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Materialien.


Prof. Beuer Prof. Kern Dr. Scotti

Im Interview zu adhäsiven Materialien: Prof. Florian Beuer, Dr. Nicola Scotti und Prof. Matthias Kern (v.l.). © Beuer, Scotti, Kern


Drei Experten erläutern in drei Interviews die Möglichkeiten und Limitationen der neuen adhäsiven Materialien. In separaten Interviews stehen Prof. Dr. Florian Beuer, München, Prof. Dr. Matthias Kern, Freiburg/Breisgau, und Dr. Nicola Scotti, Ferrara, Italien, Rede und Antwort.

Im Interview: Prof. Dr. Florian Beuer

Herr Professor Beuer, lange Zeit wurden Glaskeramiken mit bestmöglicher Ästhetik verbunden, Oxidkeramiken (Zirkon- und Aluminiumoxid) dagegen mit höchster mechanischer Festigkeit assoziiert. Gilt diese Faustregel bei der Wahl der richtigen Keramik auch heute noch?
Beuer: Die neuen Zirkonoxidmaterialien haben die Spielregeln grundlegend geändert. Sie ermöglichen ästhetische monolithische Restaurationen im Seitenzahnbereich ohne die Notwendigkeit der Verblendung. Dadurch sind weniger invasive Präparationen nötig, bei einer gleichzeitig besseren klinischen Performance der zahnfarbenen Okklusionsfläche bei festsitzendem Zahnersatz.

Worauf ist die Renaissance von Zirkonoxid als indirektem Restaurationsmaterial zurückzuführen?
Beuer: Monolithische Restaurationen haben sich in der Zwischenzeit etabliert. Zeitgleich wurde eine neue Generation transluzenter Zirkonoxide, wie z. B. Katana ML, eingeführt. Diese Kombination könnte sich nun als ideale Lösung für festsitzenden Zahnersatz im Seitenzahnbereich erweisen.

Was sind die entscheidenden Vorteile von Zirkonoxid?
Beuer: Die Herstellung ist äußerst effizient, bei gleichzeitig minimalinvasiver Präparation. Insgesamt müssen aber noch mehr Untersuchungen durchgeführt werden, um Zahnärzten und Zahntechnikern eindeutige Empfehlungen geben zu können.

Wie ist der derzeitige Kenntnisstand bezüglich der Abrasion des Antagonisten bei Zirkonoxidrestaurationen?
Beuer: Für dieses kontrovers diskutierte Thema gibt es bislang noch wenig belastbare klinische Daten. Einige Studien weisen verglichen mit anderen Keramikmaterialien auf einen ähnlichen Verschleiß hin, andererseits scheint Zirkonoxid immer noch einen höheren Verschleiß als natür‧licher Zahnschmelz zu verursachen.

Wie beurteilen Sie Zirkonoxid als Restaurationsmaterial bei implantatgetragenem Zahnersatz?
Beuer: Auch zu dieser Indikation haben wir leider noch keine ausreichenden Kenntnisse. Am wichtigsten ist natürlich, dass wir langfristig mechanisch stabile Implantate realisieren. Die Restauration oben muss schwächer sein als das Implantat selbst.

Wo sehen Sie die konkreten Vorteile der Katana-Zirkonoxidkeramik und welche Argumente sprechen Ihrer Meinung nach für den Einsatz?
Beuer: Die ästhetischen Eigenschaften wie auch die mechanischen Festigkeitswerte bewegen sich auf einem sehr hohen Niveau. Monolithische Restaurationen, mit Stain und Glaze individua‧lisiert, scheinen eine ideale Indikation für dieses Material speziell im Seitenzahnbereich zu sein.

Haben Sie indikationsabhängig Präferenzen für die verschiedenen Katana-Materialien (ML, STML, UTML)?
Beuer: ML verwende ich für festsitzenden Zahnersatz im Seitenzahn- und STML für adhäsive Klebebrücken im Frontzahnbereich.

Die ästhetische Gesamtwirkung einer indirekten Restauration hängt von mehreren Einzelfaktoren ab, die individuell bewertet und verglichen werden. Welche Faktoren sind mehr, welche sind weniger wichtig?
Beuer: Für mich stehen Form und Oberflächentextur einer Restauration ganz klar an erster Stelle. Farbe, Schichttechnik und Transluzenz kommen erst an zweiter Stelle. Das bedeutet, dass das Material zwar definitiv wichtig ist, die Herstellung und die Ausarbeitung der Restauration sind aber tatsächlich noch wichtiger.

 

Prof. Dr. Florian Beuer MME, studierte Zahnmedizin an der LMU in München und leitet seit 2015 die Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Schwerpunkte: Implantologie, metallfreie Restaurationen, CAD/CAM in der Zahnheilkunde.

 

Im Interview: Prof. Dr. Matthias Kern

Herr Professor Kern, in welchen Situationen empfehlen Sie einflügelige Adhäsivbrücken (resin-bonded fixed dental pros‧thesis) und wo sehen Sie die Vorteile für den Patienten?
Kern: Die einflügelige Adhäsivbrücke gewinnt stetig an Bedeutung, speziell bei einzelnen fehlenden Zähnen im Frontzahnbereich. Sehr attraktiv für den Patienten ist die minimalinvasive Behandlungsoption, da nur sehr wenig Zahnschmelz (< 10 Prozent) präpariert und abgetragen wird. Im Vergleich zu einer aufwendigen implantatbasierten Lösung ist die Behandlung kostengünstiger und mit weniger Zeitaufwand verbunden. Einflügelige Adhäsivbrücken sind zudem seit Juli 2016 von der kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung empfohlen und als Regelleistung anerkannt.

Wie sehen die klinischen Überlebensraten von einflügeligen Adhäsivbrücken aus?
Kern: Zunächst ist wichtig zu wissen, dass die klinischen Überlebensraten von einflügeligen Adhäsivbrücken signifikant besser als die von zweiflügeligen Adhäsivbrücken sind. Für einflügelige Adhäsivbrücken liegen Studienergebnisse vor mit Zehn-Jahres-Überlebensraten von 94 Prozent (glasinfiltrierte Aluminiumoxidkeramik) respektive 98 Prozent (Zirkonoxidkeramik). Demnach kann man mit Überlebensraten rechnen, die mindestens vergleichbar mit oder besser als konventionell eingesetzte Brücken sind.

Welche Materialien können Sie für ein-flügelige Adhäsivbrücken empfehlen?
Kern: Die Geschichte der Adhäsivbrücken begann zunächst mit reinen Metallgerüsten, gefolgt von Metallkeramiken, wobei die Metalloberfläche in den 1980er-Jahren noch mit elektrolytischem Ätzverfahren (Marylandbrücken) bearbeitet wurde. An der Universität Freiburg haben wir in den 1990er-Jahren mit Adhäsivbrücken aus Aluminiumoxid begonnen und danach an der Universität Kiel Anfang 2000 mit Adhäsivbrücken aus Zirkonoxid. Letztere boten höchste Biegefestigkeiten, sodass Frakturen nahezu ausgeschlossen waren. Wenn sich doch einmal eine Brücke gelöst hat, üblicherweise durch traumatische Ereignisse verursacht, können Zirkonoxid-Adhäsivbrücken ganz einfach wieder neu eingeklebt werden. Das ist ein weiterer klinischer Vorteil, sodass die Verlustquote insgesamt ein sehr niedriges Niveau erreicht.

Bestehen noch Zweifel an der Möglichkeit, Zirkonoxid adhäsiv zu befestigen?
Kern: Im Vergleich zu der Vielzahl an In-vitro-Haftwertuntersuchungen gibt es deutlich weniger klinisch kontrollierte Studien. Daher besteht die Gefahr, dass die vielen In-vitro-Untersuchungen bzgl. aller möglichen denkbaren Einflüsse eher verunsichern, statt eine verlässliche Orien‧tierung zu geben. Betrachtet man nur die klinischen Studien, kann es jedenfalls keinen Zweifel geben, dass Zirkonoxid zuverlässig und langfristig adhäsiv befestigt werden kann.

Wie werden Adhäsivbrücken idealerweise befestigt?
Kern: Die Zirkonoxidoberfläche wird zunächst bei mäßigem Druck (z. B. 1 bar) sandgestrahlt (z. B. mit 50 µm Al2O3). Die Verklebung sollte auf der Grundlage eines sauren, phosphathaltigen Haftmonomers erfolgen (idealerweise 10-MDP), das in einem entsprechenden Primer und/oder Befestigungskomposit (z. B. Panavia 21) enthalten ist. Damit wird eine dauerhafte Verklebung auch unter den anspruchsvollen Bedingungen der feuchten Mundhöhle ermöglicht. Bei Beachtung einiger weiterer einfacher Anwendungsschritte steht dem klinischen Erfolg nichts im Weg. Allgemein liegen die Fehlerquellen entweder in einer falschen Indikationsstellung oder in Kontaminationen oder Ungenauigkeiten während der adhäsiven Befestigung (Einzelheiten dazu finden sich in dem Buch „Adhäsivbrücken“, Kapitel 14, M. Kern, Quintessence Publishing, 1. Ausgabe 2017).

Was sind die besonderen Eigenschaften des 10-MDP-Monomers?
Kern: 10-MDP als funktionelles Haftmonomer, enthalten in adhäsiven Befestigungskompositen der Marke „Panavia“, hat eine lange Geschichte. Inzwischen ist das Molekül vermutlich das am häufigsten verwendete Haftmonomer in Adhäsiven, Primern und Befestigungskompositen. Ursprünglich erfunden von dem japanischen Hersteller Kuraray, hatte dieses Unternehmen lange Zeit die Patentrechte inne. Wir haben heute 20 Jahre klinische Erfahrung speziell mit dem adhäsiven Befestigungskomposit Panavia 21, das das Original-10-MDP-Monomer von Kuraray enthält.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Panavia-V5-Generation im Vergleich zu früheren Panavia-Produkten?
Kern: Von der ersten Version, Panavia EX (1983), bis zum heutigen Panavia V5 (2015) waren bei allen Panavia-Generationen vor allem die Klebewirkung und Haftkräfte Gegenstand umfassender Untersuchungen. Ein wesentlicher Unterschied von Panavia V5 besteht darin, dass 10-MDP nicht mehr in die Kompositmatrix selbst integriert ist, sondern gezielt in den Panavia V5 Tooth Primer und den Clearfil Ceramic Primer Plus eingebaut wurde. Dahinter steht die Idee, die ausgezeichneten Hafteigenschaften an den Grenzflächen beizubehalten und gleichzeitig Randqualität und Stabilität der Zementfuge noch weiter zu verbessern.

 

Prof. Dr. Matthias Kern studierte Zahnheilkunde in Freiburg/Breisgau. Seit 1998 ist er Direktor der Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde in Kiel. Schwerpunkte: Festsitzender und partieller Zahnersatz, Adhäsivprothetik, vollkeramische Restaurationen und Materialkunde.

 

Im Interview: Dr. Nicola Scotti

Herr Dr. Scotti, was hat sich in den vergangenen Jahren bei den Adhäsiven getan?
Scotti: Die Entwicklungsabteilungen der Hersteller und die universitäre Forschung haben uns zu Adhäsiven verholfen, die mit großer Zuverlässigkeit sowohl auf der Zahnhartsubstanz als auch auf der Oberfläche der Restaurationswerkstoffe wirksam sind.

Warum spielen Adhäsive eine ganz zentrale Rolle in der modernen Zahnheilkunde?
Scotti: Durch die soeben erwähnten Entwicklungen hat sich die restaurative Zahnheilkunde grundlegend geändert, weshalb Zahnärzte heute weniger invasiv präparieren und die unterschiedlichsten Materialien zuverlässig verkleben können.

Was müssen die Anwender beachten, um ein optimales Ergebnis erzielen zu können?
Scotti: Die genaue Einhaltung des jeweiligen Anwendungsprotokolls ist wichtig, um einen zuverlässigen Haftverbund zu erzielen.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Fehler, die bei der Anwendung von Adhäsiven gemacht werden?
Scotti: Die häufigsten Fehler liegen meiner Meinung nach in einer unvollständigen Entfernung von kariösem Gewebe, in Ungenauigkeiten bei der Anwendung der einzelnen Komponenten von Mehrschrittsystemen und in einer zu kurzen bzw. verkürzten Lichthärtung.

Bislang werden Mehrflaschen- bzw. Mehrschrittadhäsive als sogenannter „Goldstandard“ betrachtet. Gibt es unverändert keine Alternativen?
Scotti: Die neuen Universaladhäsive zeigen sowohl bei In-vitro-Versuchen als auch in bislang eher kurzfristig vorhandenen klinischen Daten vielversprechende Ergebnisse. Sie könnten zu einer echten Alternative zu Mehrschrittsystemen heranwachsen. Letztlich müssen langfristige klinische Daten die bisherigen Ergebnisse bestätigen, auch bezüglich der klinischen Möglichkeit, wahlweise mit Phosphorsäureätzung oder rein selbstätzend zu arbeiten.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit den Universaladhäsiven gemacht? Gibt es Dinge, die der Anwender wissen sollte?
Scotti: Ich arbeite mit Universaladhäsiven, seit diese erstmals im Markt eingeführt wurden. Bei der Anwendung spielt die konkrete klinische Situation eine Rolle: Bei Schmelz empfehle ich die Phosphorsäureätzung, weil die Säurestärke nicht besonders hoch ist, um ein ausgeprägtes Schmelzätzmuster zu erzielen. Im Gegensatz dazu ist die selbstätzende Anwendung besonders vorteilhaft auf dem Dentin. Last but not least sollte das Adhäsiv bei der Anwendung stets gut „einmassiert“ werden, Feuchtigkeit sollte mit dem Luftbläser sorgfältig beseitigt und auf eine ausreichende Belichtung geachtet werden.

Welche Art von Adhäsiven verwenden Sie in unterschiedlichen Situationen – auch im Hinblick auf direkte und indirekte Verfahren?
Scotti: Bei der direkten Füllungstherapie verwende ich sowohl traditionelle Mehrschrittsysteme als auch Universaladhäsive in einem Verhältnis von etwa 50/50. Bei glasfaserverstärkten Wurzelstiften und bei der Befestigung von Vollkeramikkronen verwende ich ein Universaladhäsiv mit einem dualhärtenden Aktivator, welchen ich bei indirekten adhäsiven Versorgungen als wichtig erachte. Bei Lithiumdisilikat- und Kompositonlays bevorzuge ich nach wie vor traditionelle Mehrschrittsysteme mit vorheriger Phosphorsäureätzung.

In Ihren Vorträgen verwenden Sie gerne einen amüsanten Vergleich zwischen der Lasagne Ihrer Mutter und dem MDP-Monomer. Welche Botschaft verbirgt sich hinter dieser Veranschaulichung?
Scotti: Nach dem Ablauf des Patents im Jahr 2012 tauchte das 10-MDP-Monomer plötzlich überall auf. Viele Adhäsive verwenden seither ebenfalls MDP als Inhaltsstoff. Die Reinheit von 10-MDP und damit auch seine Wirksamkeit hängen jedoch vom Hersteller ab. Aus einer kürzlich veröffentlichten In-vitro-Studie geht hervor, dass das MDP von Kuraray am effektivsten und zuverlässigsten bezüglich der Haftwerte auf Dentin abschneidet. So ist das auch bei der Lasagne meiner Mutter. Meine Mutter hat meiner Schwester zwar beigebracht, wie die Lasagne zubereitet wird. Dennoch ist die Lasagne meiner Mutter immer noch die beste, obwohl Zutaten und Zubereitung gleich sein sollten. Da macht die Erfahrung offensichtlich immer noch einen Unterschied.

Clearfil Universal Bond Quick ist das neueste Universaladhäsiv von Kuraray Noritake. Wo sehen Sie besondere Produktvorteile?
Scotti: Die Adhäsivkompetenz von Kuraray ist bekannt. Die sehr hydrophile Rezeptur halte ich für einen Vorteil gerade unter etwas schwierigeren klinischen Bedingungen. Dentin hat immer auch einen Wasseranteil, der nicht entfernt werden kann und soll. Aufgrund der Hydrophilie kann CUBQ bei den Haftwerten und der abschließenden Versiegelung des Dentins trotz einer sehr kurzen Einwirkzeit punkten. Eine weitere Stärke sehe ich in der optionalen Verwendung eines dualhärtenden Aktivators und in der Qualität des Original-MDP-Monomers von Kuraray.

 

Dr. Nicola Scotti studierte Zahnheilkunde an der Universität Ferrara in Italien. Heute ist er Assistant Professor, Dept. of Cariology and Operative Dentistry – Dept. of Endodontics, an der Universität Turin.