Interview mit Dr. Bastian Wessing

Periimplantäre Weichgewebsaugmentation

Laut aktuellen Studien lässt sich das periimplantäre Weichgewebe sowohl durch autologe Bindegewebstransplantate als auch durch Weichgewebeersatz gleichermaßen verdicken und die Höhe der keratinisierten Gingiva vermehren. Doch wann ist welches Material indiziert? Und wie viel Weichgewebe braucht es um ein Implantat? Dr. Bastian Wessing liefert Antworten.


Weichgewebsersatzmaterial

Einbringen der Kollagenmatrix creos mucogain (Nobel Biocare) in den bukkalen Mukosalappen. © Wessing


Das autologe Bindegewebstransplantat gilt nach wie vor als Goldstandard zur Verdickung des periimplantären Weichgewebes, ist aber unbeliebt beim Patienten und beim Zahnarzt. Welche Alternativen gibt es?
Wessing: Eins vorweg: Das autologe Bindegewebstransplantat als Goldstandard zu bezeichnen ist meiner Meinung nach nicht ganz korrekt. Es gibt mittlerweile gute Alternativen. In der Mundhöhle lassen sich außerdem an mehreren Stellen solche Transplantate entnehmen – mit unterschiedlichen Kollagenzusammensetzungen und damit auch unterschiedlichen Eigenschaften.

Die Hauptentnahmestelle ist nicht der Gaumenbereich?
Wessing: Das lässt sich so einfach nicht sagen und ist von Behandler zu Behandler bzw. Praxis unterschiedlich. Kleinere autologe Bindegewebstransplantate zum Aufdicken des periimplantären Gewebes bei Einzelzahnlücken werden heute auch häufig aus dem Tuberbereich im Oberkiefer entnommen. Denn das Gewebe aus dieser Region unterliegt einer deutlich geringeren Schrumpfung. Auch bei der klassischen Gaumenentnahme gibt es Unterschiede, je nachdem, ob man es vom weichen Gaumen aus der Tiefe entnimmt oder ein endepithelisiertes freies (oberflächliches) Schleimhauttransplantat verwendet. Mit unterschiedlichen Entnahmetechniken lassen sich also auch aus der gleichen Region Gewebe mit unterschiedlichen Zusammensetzungen gewinnen. Goldstandard aber bedeutet, dass es nur ein einziges Material oder eine einzige Technik gibt, die stets mit dem gleichen konsistenten Ergebnis aufwartet. Das ist bei der Weichgewebsaugmentation definitiv nicht der Fall. In vielen Fällen kann ich heute mit geeigneten Biomaterialien und (kleineren) Tubertransplantaten auf die für den Patienten oft schmerzhafte subepitheliale Bindegewebsentnahme aus dem Gaumen verzichten. Nur in Grenzfällen mit Kombinationsdefekten – bei vorangegangener Knochenaugmentation und z. B. dünnem Gingivatyp, wenn zusätzlich noch ein dicker Weichgewebsaufbau nötig ist – favorisiere ich heute noch das autologe Bindegewebstransplantat aus dem Gaumen.

Dr. Wessing im Interview zur neuen Kollagenmatrix creos mucogain

Wie viel Weichgewebe braucht denn das Implantat?
Wessing: In diesem Punkt ist man sich wissenschaftlich uneinig, es besteht weiterer Forschungsbedarf. Man geht zurzeit von zirka 3 mm aus. Fakt aber ist: Zu dünnes Weichgewebe um Implantate herum kann vermehrt zu bukkalen Rezessionen und erhöhtem periimplantärem Knochenabbau führen. Linkevicius et al. haben 2015 ihre Ergebnisse einer prospektiven Studie publiziert, nach der Weichgewebe mit weniger als 2 mm Dicke (mit oder ohne Weichgewebsaugmentation) einen vermehrten Knochenabbau am Implantat ein Jahr nach Implantation nach sich zog.

Wäre das ein Grenzfall?
Wessing: Ja, bei sehr dünner Gingiva würde ich – wie gesagt – auch heute noch das autologe Bindegewebstransplantat favorisieren.

Also kein Ersatzmaterial …
Wessing: Nein, bei Biomaterialien handelt es sich um totes Material. Wird der Lappen schlecht durchblutet, kann es im Bereich über dem Biomaterial zu zentralen Nekrosen kommen. Also könnte bei einer sehr dünnen Gingiva und einer dicken Schicht „Biomaterial“ die Ernährung für ein Überleben des darüber liegenden Lappens nicht ausreichend sein. Noch fehlt es aber an Evidenz, um in Millimetern anzugeben, wo exakt die Grenze liegt.

Wann raten Sie Kollegen, ein autologes Bindegewebstransplantat durch Weichgewebsersatzmaterialien zu ersetzen?
Wessing: Also, zuallererst einmal finde ich schon, dass implantologisch orientierte und ästhetisch interessierte Kollegen die klassischen Entnahmetechniken beherrschen sollten, vor allem wenn man im Oberkieferfrontzahnbereich tätig wird. Ansonsten sollte man wie bei allem Neuen mit einfachen Fällen starten und sich vorsichtig an komplexere Situationen herantasten. Ich löse in meiner Praxis heute 30 Prozent der Fälle mit Weichgewebsersatzmaterial statt mit autologen Bindegewebstransplantaten. Das erspart unseren Patienten die Schmerzen in der Entnahmeregion und bringt auch mir als Behandler enorme Vorteile. Denn für Biomaterialien gilt: „Ready to use, out of the box“. Ein Bindegewebstransplantat aus dem Gaumen zu entnehmen ist deutlich schwieriger und zeitaufwendiger.

Was hat sich in den letzten Jahren bei den Weichgewebsersatzmaterialien verbessert?
Wessing: Es wird intensiv geforscht, neue Produkte sind auf dem Markt, zum Beispiel creos mucogain von Nobel Biocare, eine native Kollagenmatrix aus porcinen Collagen- und Elastinfasern. Mit einer speziellen, patentierten Technik, einem gleichgerichteten Eiskristallisierungsverfahren, wird dafür gesorgt, dass die Kollagenmatrix gleichgerichtete tubuläre Poren aufweist, die den Fibroblasten als Leitstruktur dienen und so zu einer besseren Migration von Bindegewebe und Gefäßen in die Kollagenmatrix führen, die lang genug standhaft ist und so zu einer Verdickung der Schleimhaut führt.

Ist die Technik neu?
Wessing: In der Zahnheilkunde schon, aber das Verfahren hat sich bereits in anderen Bereichen der Medizin bewährt, etwa in der Regeneration von Nerven und Haut. Die Zellvermehrung von Weichgewebe im menschlichen Körper mit diesem Material ist also schon wissenschaftlich belegt.

Wann sind Weichgewebsersatzmaterialien kontraindiziert?
Wessing: Ich rate vom „Socket Seal“ mit einer Kollagenmatrix ab. Das Abdecken der Alveole mit einer Kollagenmatrix als Schleimhautersatz und somit offener Einheilung des Weichgewebsersatzmaterials hat sich als nicht erfolgreich erwiesen. creos mucogain ist zudem gar nicht für die offene Heilung freigegeben, es darf laut Herstellerangaben nur in einer gedeckten Einheilung verwendet werden.

Fallbeispiel:

Sofortimplantation mit NobelActive regione 24 sowie Spätimplantation regione 25 mit nachfolgender Versorgung einer Extensionsbrücke zur Vermeidung der Sinusliftaugmentation im 2. Quadranten. Patient: weiblich, Alter 61, keine Allgemeinerkrankungen, keine Parodontitis, Nichtraucher.


Aus welchem Grund?
Wessing: Weil kollagene Ersatzmaterialien bei offener Einheilung zu schnell degradiert werden Kollagen wird durch bakterielle Kollagenasen aus dem Speichel zersetzt. Dies geschieht schneller als die Weichgewebsbesiedelung, und daher funktioniert es nicht.

Bedeutet das, dass ein zweizeitiges Vorgehen erforderlich ist?
Wessing: Nein, die Kollagenmatrix muss nur mit Schleimhaut bedeckt werden. Das klappt auch gut mit semioffenen Verfahren simultan.

Mit der Envelopetechnik?
Wessing: Ja, zum Beispiel, man bildet im bukkalen Bereich eine Tasche, geht also nicht bis unter das Periost, und platziert die Kollagenmatrix innerhalb der Bindegewebsschicht. Der obere marginale Anteil ist der Mundhöhle zugänglich, deshalb die Bezeichnung semioffen, über 90 Prozent sind aber mit Schleimhaut bedeckt. Ich propagiere das semioffene Verfahren bei Sofortimplantationen. Die Envelope- wie auch die Tunnelierungstechnik sind in meiner Praxis in dieser Indikation die Standardtechnik; das funktioniert mit Weichgewebsersatzmaterialien wirklich ausgezeichnet. Der koronale Verschiebelappen eignet sich besonders, wenn die Alveole komplett gedeckt werden soll. Damit erreicht man einen primären Wundverschluss. Grundsätzlich sollte sich der Anwender parodontalchirurgisch allerdings auskennen. Das A und O ist stets die richtige, spannungsfreie Lappen- und Nahttechnik.

 

Dr. Bastian Wessing ist Partner und stellvertretender Leiter der Praxisklinik Aachen. Zu seinen Behandlungsschwerpunkten zählen Implantologie, Prothetik und komplexe Rehabilitationen. Kontakt: info@praxisklinikaachen.de