Ein Thema – vier Meinungen

Kofferdam – Kür oder Pflicht?

Mit dem Hinweis auf eine vermeintlich längere Funktionszeit und ein vermeintlich geringeres Sekundärkariesrisiko wird in Standardlehrbüchern die absolute Trockenlegung auch für Kompositfüllungen gefordert. Doch auch ohne Kofferdam lässt sich ein ausreichend trockenes Arbeitsfeld erzielen, so die weit verbreitete Meinung. Was ist da dran? Das diskutieren Experten aus der Praxis, der Hochschule und der Industrie.



Herr Professor Gernhardt, wann reicht die „relative Trockenlegung“ etwa durch Absaugkanüle, Speichelsauger, Watterollen oder Luftstrahl wirklich?
Gernhardt: Bei den meisten Behandlungen der täglichen Praxis, von der Prophylaxe über PA-Behandlungen bis hin zu Präparationen.

Und wie sieht es bei Kompositfüllungen aus?
Gernhardt: Da reicht die relative Trockenlegung mir nicht. Wir in Halle arbeiten bei Maßnahmen der Adhäsivtechnik und der Endodontie mit Kofferdam. Zum Schutz des Patienten wird auch das Entfernen von Amalgamfüllungen mit Kofferdam durchgeführt.

Listander: So lernen angehende Zahnmedizier es auch im Phantomkurs bereits im sechsten Semester. Danach ist Kofferdam indiziert bei

  • adhäsiven Restaurationen, also Kompositfüllungen, Fissurenversiegelungen, Einsetzen von Adhäsivinlays/-brücken,
  • endodontischen Behandlungen (Aufbereitung, Med-Wechsel, Wurzelfüllung),
  • der Entfernung von Amalgamfüllungen,
  • beim internen Bleaching und ggf. beim Eingliedern von Teilkronen und Goldinlays. 

Das ist ein breites Indikationsspektrum, doch in der Praxis halten sich offenbar kaum Kollegen daran …
Listander: Ich schon. Denn das Anlegen eines Kofferdams sorgt nicht nur für die absolute Trockenheit des Arbeitsfelds. Durch das Abhalten der Wange, der Zunge und des Mundbodens und durch die Retraktion des Weichgewebes – Papille, Gingiva – wird eine optimale Sicht auf das Arbeitsfeld erzielt. Da der Mund des Patienten stets geöffnet ist, kein Mundspiegel anläuft, ein Mundausspülen entfällt und keine Watterollen ausgetauscht bzw. ständig festgehalten werden müssen, kann der Behandler mit nur einer Assistenz eine optimale Arbeitsweise realisieren …

… und auch die Kosten senken?
Gernhardt:
Korrekt, wir benötigen eine Helferin weniger.

Es gibt aber auch Kontraindikationen …

Listander: An der Universität differenziert man zwischen relativen und absoluten Kontraindikationen. Zu den relativen Kontraindikationen zählen

  • Latexallergie,
  • schwere obstruktive Atemwegserkrankungen,
  • keine Nasenatmung möglich,
  • Würgereiz und
  • Anfallsleiden (Epilepsie).

Absolute Kontraindikationen sind Klaustrophobie und fehlende Kooperation.

Gernhardt:
In der Praxis werden neben der Latexallergie auch stark zerstörte Zahnhartsubstanz und subgingivale Füllungsränder als Kontraindikationen genannt. Doch Zahnsubstanz lässt sich präendodontisch aufbauen und subgingivale Füllungsränder können durch parodontalchirurgische Maßnahmen nach koronal verlegt werden. Und für Latexallergiker bieten die Hersteller bereits seit Langem latexfreie Produkte, nicht nur für Kofferdam, auch für Handschuhe.


Ist das Allergiepotenzial denn so hoch?

Weis: Definitiv! Latexallergien sind ein ernst zu nehmendes Risiko in der zahnmedizinischen Behandlung. Bei Nichtbeachtung einer bestehenden Latexsensibilisierung können starke allergische Reaktionen, ein anaphylaktischer Schock auftreten, der im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Selbst wenn keine aktuelle Latexsensibilisierung vorliegt, kann eine wiederholte Verwendung von Latexprodukten über kurz oder lang zu einer Allergie führen. Der Zahnarzt muss bestehende Allergien ausschließen, bevor er mit Latexkofferdam die Behandlung beginnt. Im Sinne der Gesundheitsvorsorge für sich und sein Team sollte er auf proteinarme oder latexfreie Produkte zurückgreifen. COLTENE bietet sowohl latexfreie als auch proteinarme, nahezu puderfreie Kofferdammaterialien an. Nach Angaben des Deutschen Allergie- und Asthmabundes e. V. leiden immerhin zwei Prozent der Bundesbürger – also rund 1,6 Millionen Menschen – unter einer Naturlatex-Sensibilisierung, bei Beschäftigten im medizinischen Bereich sind es zehn bis 17 Prozent.

Listander: Wir haben deshalb stets latexfreien Kofferdam und latexfreie Handschuhe in unserer Praxis parat, um eine absolute Trockenlegung auch bei Allergiepatienten gewährleisten zu können.

Es kommt nicht nur auf die Art der Trockenlegung an

Dennoch, das Gros der Kollegen dürfte vor allem bei der Anwendung der Adhäsivtechnik im Rahmen der herkömmlichen Füllungstherapie auf Kofferdam verzichten.
Rahm: Je nach Lage der Kompositfüllung ist das auch kein Problem. Nicht für jede Füllung ist die Trockenlegung mit Kofferdam erforderlich. Das sehen die Experten aber anders …

Rahm: Es kommt letztlich nicht nur auf die Art der Trockenlegung an, sondern auch auf die sichere Blut- und Speichelkontaminationsvermeidung. Bei entsprechender weit supragingivaler Lage und geringer Ausdehnung der Füllung wird die Trockenlegung von korrekt gelegten Matrizen ausreichend unterstützt und eine suffiziente Abdichtung erreicht. Der Speichelfluss sollte aber klar einzugrenzen sein. Problematisch in puncto Trockenlegung ist eine tief subgingival und approximal gelegene Kavität mit einer induzierten Papillenblutung oder einer tiefen Zahnhalsfüllung. Dann ist nicht nur die Dichtigkeit schwer zu erlangen, sondern eher die vorangegangene Blutstillung notwendig. Das braucht einfach Zeit und eine gute Blutstillung, die der Trockenlegung vorangehen muss, auch bei Kofferdam. Bei starkem Speichelfluss, bei „Speichelfontänen“ der Glandula sublingualis, ist selbstverständlich die absolute Trockenlegung indiziert. Die Gefahr der Speichelkontaminiation ist dann bei relativer Trockenlegung einfach zu groß. Auch im Molarenbereich ist der Kofferdam sicherlich der erfolgreichere Weg der Trockenlegung.

Der Uni-Lehre zum Trotz geht es in der Adhäsivtechnik also durchaus auch ohne Kofferdam?
Rahm: Ich verwende viel Kofferdam, aber in unserer Praxis wird nicht bei jeder Kompositfüllung Kofferdam gelegt – insbesondere bei okklusalen oder grazilen mesial oder distal gelegenen Füllungen – und die fünfzehnjährige Erfahrung in meiner jetzigen Praxis zeigt, dass hierbei dadurch kein Nachteil/Misserfolg entstanden ist.
Bei adhäsiv zu befestigenden Keramikinlays, Teilkronen oder Kronen halte ich Kofferdam definitiv für unerlässlich, denn das Prozedere ist deutlich umfangreicher. Vor dem Lichthärten müssen beispielsweise auch die Kontaktflächen und Übergänge im Gingivabereich vom überschüssigen Adhäsivmaterial mit Zahnseide etc. gereinigt werden. Die Gefahr einer Speichelkontamination oder einer Blutung ist dabei erheblich. Der Kofferdam gibt dort guten Schutz.
Bei den direkten Kompositfüllungen ist durch die Abdichtung und Formgebung durch die Matrize sicherlich eine zusätzliche Schranke gegeben. Reine Lichtmatrizen, zum Beispiel im Frontzahnbereich, die nicht verkeilt sind, geben allerdings keinen Speichelschutz, dort wirken eher die Kapillarkräfte und ziehen den Speichel in die Kavität. Zusätzlich sollte man immer einen Faden legen.
Eine weitere Voraussetzung für mich ist die Prophylaxe. Adhäsive Füllungen sollten immer nach einer PZR erfolgen, um eine gesunde Gingiva für die Adhäsivtechik und Kofferdamtechnik vorzufinden, das erleichtert die Trockenlegung ungemein. Dies gilt allgemein und insbesondere für die Zahnhalsfüllungen.

Gernhardt: Bei uns in Halle werden adhäsive Maßnahmen nur unter Kofferdam ausgeführt. Auch in Fachkreisen herrscht Einigkeit, dass sämtliche Maßnahmen der Adhäsivtechnik – und damit auch die Kompositfüllungen – sowie die endodontischen Therapien und die Entfernung von Amalgamfüllungen unter Kofferdam erfolgen sollten. Und danach richten wir uns.

Aber es wäre kein Behandlungsfehler?
Gernhardt: Nein, so weit möchte ich nicht gehen. Sicherlich kann man in einen Speichelsee keine adäquate Kompositfüllung legen. Und wenn eine Kavität mit Blut und anderem kontaminiert wurde, wird es schwierig, eine adäquate Füllung zu inserieren. Denn es ist bekannt, dass eine Kontamination der Dentinoberfläche mit Feuchtigkeit, Speichel, Blut oder anderen Sekreten aus der Mundhöhle zu einer schlechteren Performance der Adhäsivtechniken führt. Mit diesem Thema beschäftigen sich zahlreiche Untersuchungen.

Zum Beispiel?
Gernhardt: Zum Beispiel zeigt die Metaanalyse [Heintze and Rousson, 2012], dass unter Kofferdam gelegte Seitenzahnfüllungen eine deutlich bessere Langzeitprognose aufweisen.

Warum setzt sich die Trockenlegung so schleppend durch?

Dennoch agieren die Praktiker eher wie Frau Dr. Rahm und legen Kofferdam bei adhäsiven Maßnahmen nur, wenn es wirklich erforderlich ist. Seit Jahren werden den Studenten nun schon die Kofferdam-Vorteile „eingeimpft“, das Material gibt es ja seit einer gefühlten Ewigkeit. Warum setzt sich die absolute Trockenlegung so schleppend durch, liegt es an Bequemlichkeit?
Gernhardt: Schwer zu sagen. Unsere Studenten verwenden natürlich ganz selbstverständlich Kofferdam. Das haben sie gelernt, das schätzen sie und danach richten sie sich. Wir akzeptieren auch kein anderes Vorgehen. In der Niederlassung vergessen dies leider viele.

Aber selbst bei Endobehandlungen sieht es mau aus. Rund 40 Prozent der Zahnärzte verzichten bei Wurzelkanalbehandlungen auf Kofferdam, heißt es [Tekyatan et al., 2006].
Weis: Noch ist die Zahl der Kofferdamanwender zwar unter dem, was klinisch wünschenswert und geboten wäre. Doch die Akzeptanz steigt. Das belegen zum Beispiel die Umsatz- und Absatzzahlen des Deutschen Dentalmarktes (Gfk, Nürnberg) zum Kofferdam. Danach wächst der Kofferdamabsatz in Deutschland seit fünf Jahren kontinuierlich.

Laufen denn auch klinische Kofferdam-Studien unter Praxisbedingungen? Die Ergebnisse könnten Praktiker vielleicht überzeugen, was meinen Sie?
Weis: Eindeutige klinische Ergebnisse überzeugen natürlich am stärksten. Die Schwierigkeit solcher Studien liegt meist darin, dass der Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung im Vergleich nicht eindeutig auf den Faktor Kofferdam zurückzuführen, sondern von vielen Faktoren im Behandlungsablauf abhängig ist. Es gibt immer wieder Untersuchungen, die den Gründen für das Nichtanwenden von Kofferdam auf den Grund gehen, so z. B. Gilbert et al., 2015.
Wer auch ohne absolute Trockenlegung zufriedenstellende Therapieerfolge erzielt und Kofferdam als zu kompliziert einstuft, wird weiterhin darauf verzichten – selbst dann, wenn ihm die erwiesenen Effizienz- und Risikovorteile der Behandlung unter Kofferdam bekannt sind.

Sind solche Studien geplant? Wer könnte sie in Angriff nehmen?
Gernhardt: Es gibt durchaus zahlreiche Studien, die sich mit dem Einfluss des Kofferdams auf die jeweilige Behandlung beschäftigen, die Ergebnisse zeigen in der Regel eine Qualitätsverbesserung der Behandlung.

Frau Dr. Listander, Sie sind seit 2014 niedergelassen, noch schwören Sie auf Kofferdam …
Listander: 2009 habe ich in Ulm mein Staatsexamen gemacht und anschließend auch dort gelehrt. Das heißt, dass ich inklusive meiner studentischen Behandlung bereits seit zehn Jahren täglich Kofferdam anwende. In Ulm stand und steht die absolute Trockenlegung klar im Fokus. Daher weiß ich, wie gut mit dieser vergleichsweise simplen Methode ein steriles Arbeiten gelingt, und dass es eine deut‧liche Qualitätssteigerung nach sich zieht. Ich habe gelernt und gelehrt, wer keinen Kofferdam während einer Wurzelkanalbehandlung verwendet, setzt seine Patienten Risiken und Gefahren aus. Das beginnt beim Verschlucken und/oder Aspirieren von Spülflüssigkeiten und oder Feilen und reicht bis zur Verletzung und Verätzung der Schleimhäute.

Und dennoch ist Kofferdam in der Endo kein Muss …
Gernhardt: Leider nicht! Ich bedaure das sehr, denn man behandelt im Rahmen einer Wurzelkanalbehandlung eine Infek‧tion des Kanalsystems. Die chemomechanische Aufbereitung soll das erkrankte Wurzelkanalsystem desinfizieren und so bakterienfrei wie möglich hinterlassen. Wir investieren alles, um das WK-System von Mikroorganismen, Bakterien, infiziertem Hart- und Weichgewebe zu befreien, wir setzen die neuesten Instrumente ein, wir betreiben letztendlich einen enormen Aufwand. Gelangt Speichel in die Kavität, war das Ganze „für die Katz“. Nicht nur die akribisch eliminierten Bakterien besiedeln auf einen Schlag wieder das WK-System, sondern womöglich noch mehr als vorher.

Ohne Kofferdam macht die Endotherapie also wenig Sinn?

Weis: Richtig, das spiegelt sich unter anderem in den Qualitätsrichtlinien und wissenschaftlichen Stellungnahmen des Endodontie-Beirats der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung, der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), der European Society of Endodontology (ESE) und der American Association of Endodontics (AAE) wider.

Die Endoexperten richten sich ja auch danach …
Rahm: Allerdings hängt der Erfolg einer WK-Behandlung sicher nicht maßgeblich von der Kofferdamapplikation ab. Die Gesamtsystematik ist entscheidend, kritische Momente sind zum Beispiel die Röntgenmessaufnahmen.

Wieso das?
Rahm: Speichel kann erneut in die Kanäle dringen, auch dann, wenn der Kofferdam inklusive Klammer belassen wird während der Aufnahme. Wird nicht digital geröntgt, wartet der Patient möglicherweise fünf Minuten im Zimmer, dann muss der Kofferdam nach der Röntgenaufnahme durch das Personal oder den Arzt sofort wieder exakt aufgespannt werden. Elektronische Längenmessung kann eine Alternative sein, dieses Risiko der erneuten Speichelkontamination zu minimieren. Dabei kann der Kofferdam belassen werden und die endodontische Behandlung bis zur fertigen Füllung erfolgen – bevor das Abschlussröntgenbild gemacht wird. Wichtig ist auch, dass die provisorische Füllung immer erst nach dem Legen des Kofferdams entfernt wird und dann eine kontinuierliche Trockenlegung bis zur Wurzelfüllung gewährleistet ist. Der Zahnarzt oder eine Assistenz sollte anwesend sein, solange der Kofferdam angelegt ist.
Als wichtig erachte ich auch eine dichte Füllung während der Zwischenzeit, wenn medikamentöse Einlagen eingebracht werden. Die Aufbaufüllung sollte vorher gelegt sein und nur einen okklusalen Zugang haben, damit auch keine Reinfizierung der Kanäle über undichte alte Füllungsränder erfolgen kann – auch wenn man die Aufbaufüllung über Kassenleistung erst nach der erfolgten Wurzelfüllung in Rechnung stellen darf.

Mangelnde Patientencompliance?

Ein Hauptargument der Kofferdamgegner ist die mangelnde Patientencompliance …
Gernhardt: Aber das Gegenteil ist richtig. Die meisten Patienten empfinden die Behandlung unter Kofferdam – eventuell nach anfänglicher Skepsis vor dem ersten Mal – als ausgesprochen angenehm. Und das leuchtet auch ein: Niemand manipuliert und zieht an der Wange oder an der Zunge, bildet sich unter dem Kofferdam ein Speichelsee, wird problemlos abgesaugt. Richtig, der Patient kann den Mund nicht schließen. Aber genau das bewerten die meisten Patienten positiv. Der Kofferdam hilft ihnen, den Mund aufzuhalten. Und für mich als Zahnarzt ist das doch wunderbar bequem: Der Patient hält den Mund offen, er spielt nicht mit der Zunge am Zahn, ich muss auch beim rotierenden Arbeiten nicht akribisch darauf achten, ja nicht das Weichgewebe zu schädigen. Unter Kofferdam lässt sich sauber, effizient und zügig arbeiten. Und es wird ausgeschlossen, dass der Patient Instrumente, Natriumhypochlorit oder andere Spüllösungen schluckt.

Listander: Optimale Aufklärung und das Kommunizieren der Vorteile helfen perfekt, die Compliance zu optimieren. Keiner meiner Patienten hat bisher die Behandlung mit Kofferdam abgelehnt. Patienten, die zum allerersten Mal Kofferdam erhalten, erklären wir vorab und nach dem Einbringen in den Mund im Spiegel das Prozedere. Wir demonstrieren auch, wie man sich unter Kofferdam verständigen kann.

Wie kann das funktionieren?
Listander: Wir haben folgendes System entwickelt:

  • Linken Zeigefinger knicken und heben: bitte unter dem Kofferdam absaugen
  • Linke Hand heben: Patient möchte gerne etwas mitteilen –> Kofferdam wird vom Spannrahmen gelöst. Somit kann eine einwandfreie Kommunikation gewährleistet werden.

Aber: Während meiner zehnjährigen Anwendung mit Kofferdam hatte ich maximal fünf Patienten, die während der Behandlung etwas mitteilen wollten. Und auch das Absaugen klappt auf diese Weise hervorragend und stellt kein Problem dar.

Die Patientencompliance ist bei adäquater Aufklärung also kein Problem?
Rahm: Korrekt, da ist das gesamte Team involviert. Und um den Patienten das Gefühl zu geben, gut Luft zu bekommen, hilft es, den Kofferdam an der Oberlippe gut auszuschneiden. Der Kontakt des Kofferdams mit der Gesichtshaut sollte so gering wie möglich sein.
Listander: Um so patientenfreundlich wie möglich zu sein, legen wir grundsätzlich ein Einmalstofftuch auf die Haut des Patienten, um den direkten Kontakt mit dem Kofferdam auf der Haut zu vermeiden und um mögliche Feuchtigkeit direkt zu absorbieren.

Kofferdam seit Mitte des 19. Jahrhunderts

Damit wäre ein Hauptargument der Kofferdamgegner wohl entkräftet. Aber Kofferdam gibt es nicht erst seit der letzten IDS, sondern seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Was macht die Hemmschwelle so groß? Die Kosten und der Zeitfaktor sind es offenbar ja auch nicht.

Gernhardt: Unsere Studenten lernen den Umgang mit Kofferdam, sie werden dazu angehalten, adhäsive Maßnahmen, endodontische Behandlungen und die Entfernung von Amalgamfüllungen unter Kofferdam durchzuführen. Es wird ihnen beigebracht, es wird ihnen auch die Notwendigkeit erklärt, sie haben sogar mit negativen Folgen zu rechnen, sollten sie sich weigern, den Kofferdam zu verwenden. Allerdings hält diese Einstellung zum Kofferdam nicht ewig an. Nach dem Examen, spätestens ein paar Jahre danach, geht jeder vor, wie er es für richtig hält.

Also doch Bequemlichkeit?
Rahm: Nein, das denke ich nicht. Bei einer gut gelegten Aufbaufüllung für die Endo ist der Kofferdam zum Beispiel ganz leicht zu legen. Letztlich bedarf es nur einer Klammer und eines gestanzten Lochs. Das kann auch die Assistenz allein. Prinzipiell ist das Anlegen mit einer Assistenz aber einfacher. Das gilt vor allem für den Molarenbereich und für die Trockenlegung mehrerer Zähne. Müssen mehrere gestanzte Löcher eingefügt werden, hält eine Assistenz das Spanngummi, die zweite schlingt die Zahnseidenligaturen und fixiert die Klammer am Zahn und spannt den Kofferdam über den Außenbogen. Sicheres, zügiges Anlegen gibt dem Patienten Sicherheit.
Wichtig ist, dass man etwas individueller die Abstände der Stanzlöcher wählen sollte, insbesondere beim Inserieren von adhäsiven Keramikwerkstücken. Manchmal ist der Approximalraum mit Papille so schmal, dass ein breiter Stegbereich von Kofferdam nach Schablonenvorgabe sich wellt. Da sollte vorher der Abstand geklärt werden.
Gernhardt: Und wenn der Kofferdam einmal liegt, braucht es wie gesagt weniger Personal. Man muss sich um die Trockenlegung des betroffenen Zahns einfach nicht mehr kümmern. Das Ganze dauert nicht einmal eine Minute und man spart zusätzlich Personalkosten.

Wie lange brauchen Sie in Ihrer Praxis, Frau Dr. Listander?
Listander: Maximal 90 Sekunden für das Isolieren von vier bis sechs Zähnen. Einzelzahnisolierungen schaffen wir in maximal 45 Sekunden. Meine Mitarbeiter werden vor dem ersten Anlegen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis geschult. Für das Anlegen in unserer Praxis gibt es eine selbst entwickelte schriftliche Step-by-Step-Anleitung, die jederzeit nachgelesen, und ein Lehrvideo, das jederzeit angeschaut werden kann.

Welche Hilfen liefern die Hersteller?
Weis: Wir haben unterschiedliche Materialien im Sortiment, die das Arbeiten mit Kofferdam vereinfachen. Ein Beispiel ist der gerahmte latexfreie Flexi Dam. Jedes Kofferdamblatt verfügt über einen flexiblen Kunststoffrahmen und kann direkt angelegt werden. Kurz: Die Zeit, den Kofferdam auf einen Rahmen zu spannen, entfällt. Die farbkodierten Fiesta Kofferdamklammern erleichtern die Auswahl der richtigen Klammer je nach Zahnposition. Als Alternative bieten wir auch die sehr geschätzten Wedjets an. Dies sind elastische Befestigungsschnüre, mit denen der Kofferdam anstelle oder zusätzlich zu einer Kofferdamklammer einfach fixiert werden kann. Sie sind ganz leicht durch Aus‧einanderziehen über den Kofferdam im Zahnzwischenraum zu platzieren.Alles Übungssache

Kofferdam: Eine Übungssache

Eine effiziente und erfolgreiche Behandlung unter Kofferdam ist natürlich letztendlich Übungssache …
Weis: Natürlich, doch es gibt jede Menge Tipps und Tricks, die das Anlegen beschleunigen. COLTENE informiert in seinen Endodontie- und Restaurationskursen meist auch über die klinischen Vorteile von Kofferdam. Die Außendienstmitarbeiter von COLTENE kommen aber auch gerne in die Zahnarztpraxen und schulen das Praxisteam ganz individuell.

Worauf kommt es an?
Rahm: Die Unterschiede in der Handhabung sind letztlich marginal. Wichtig ist ein Sortiment gut passender Klammern, die nicht vom Zahn abspringen – lieber die Kofferdamklammern mit mehreren Zacken, um den Druck auf den Zahn zu verteilen – und ein reißfestes Spannmaterial, das auch eingeschnitten werden kann und dann nicht weiter einreißt. Die Materialien von COLTENE sind dazu prima geeignet.

Bitte nennen Sie typische Anlegefehler …
Rahm: Klammern, die zu tief in das Parodont greifen, sollten vermieden werden: Sie verursachen Schmerzen, falls bei weiteren Sitzungen keine Anästhesie mehr notwendig sein sollte. Es entsteht eine Verletzung des Parodonts. Bei Keramikversorgungen lässt sich auf die oben genannten Wedjets ausweichen, um das Spanngummi oder Zahnseide zu fixieren. Bei Brückenversorgungen kann der Kofferdam einfach oberhalb weiterlaufen. Gerade bei Zahnhalsfüllungen oder der Veneer-/Componeertechnik sollte zusätzlich noch ein dünner Faden gelegt werden, um das Parodont zu schützen und das Sulkusfluid zurückzuhalten.

Welche Schritte lassen sich delegieren?
Listander: Die Vorbereitung des Spanntuchs, also das Lochen und Einspannen der Klammer, kann die Mitarbeiterin zwar im Alleingang übernehmen, doch beim Anlegen des Kofferdams sollte sie den Zahnarzt nur unterstützen. So handhaben wir das jedenfalls in unserer Praxis.
Rahm: Bei graziler Teilkronenpräparation oder Präparationsgrenzen nahe der Gingiva sollte ebenfalls der Zahnarzt dabei sein und die Klammer wählen. Bei Angst- oder Würgepatienten muss er den Kofferdam in Eigenregie legen.

Bei Angst- und Würgepatienten ist Kofferdam aber doch kontraindiziert, oder?

Rahm: Nicht wenn der Behandler den Patienten exakt aufklärt. Schließlich lässt sich der Kofferdam notfalls ruck-zuck abnehmen. Ein Abdrucklöffel verbleibt auch längere Zeit im Mund des Patienten … auch bei einem Patienten mit Würgereiz, da helfen Akupunktur, beruhigendes Eingehen auf den Patienten, Hypnose oder einfach sicheres und gutes Arbeiten.

Materialauswahl

Kommen wir zur Materialauswahl …
Gernhardt: Jeder Behandler arbeitet mit dem Material, mit dem er am besten klarkommt. Der eine mag lieber einen etwas dickeren Kofferdam, der andere zieht dünneren vor.

Welchen favorisieren Sie?
Gernhardt: Ich mag lieber einen dünneren, er lässt sich leichter applizieren.
Er reißt aber auch schneller …
Gernhardt: Das nehmen wir in Kauf und das lässt sich mit etwas Übung auch zuverlässig vermeiden.
Listander: Ich bevorzuge einen vorgeschnittenen, extra elastischen und puderfreien Kofferdamm 15 × 15 cm.

Dünn oder mitteldick?

Listander: In unserer Praxis bevorzugen wir mitteldick, da wir aus unserer Erfahrung die beste Abdichtung erzielen. Für unsere Allergiepatienten haben wir in unserer Praxis stets latexfreien Kofferdam.

Wie relevant ist die Kofferdamfarbe?
Weis: Die richtige Farbe schafft ideale Bedingungen hinsichtlich Kontrast und Stressfreiheit für die Augen. Der blaue Flexi Dam zum Beispiel bietet einen guten Kontrast zum Arbeitsfeld und wirkt beruhigend auf den Betrachter. Vorteile, die sich in der ästhetischen Zahnmedizin und bei zeitintensiven Behandlungen bemerkbar machen. Ein schwarzer Kofferdam ist ideal, um klinische Fälle mit Bildern zu dokumentieren und sie für Publikationen oder Vorträge zu verwenden.

Blau und Grün sind aber am gängigsten, korrekt?
Gernhardt: Wir benutzen derzeit grünen und blauen Kofferdam. Für mich persönlich spielt die Farbe nur eine untergeordnete Rolle.

Die Bestimmung der Zahnfarbe unter Kofferdam ist nicht ganz einfach …
Gernhardt: Wenn die Zahnfarbe vor der Kofferdamapplikation bestimmt wird, ist das kein Problem. Liegt das Spanngummi, lassen sich keine exakten Farbbestimmungen mehr vornehmen. Die Farbe des Gummis sorgt für eine falsche Farbwahrnehmung, dazu trocknen Zähne unter Kofferdam aus. Sie werden heller.
Ist Kofferdam heute patientenfreundlicher als noch vor einigen Jahren?

Gernhardt: Es gibt heute natürlich für jeden Zahn die passende Klammer. Aber Kofferdam war nie patientenunfreundlich, ganz im Gegenteil.

Weis: Dem Zahnarzt steht heute eine ganze Reihe unterschiedlicher Materialien, zugeschnitten auf die jeweilige Behandlungssituation, zur Verfügung. COLTENE als einer der Marktführer im Bereich Kofferdam bietet je nach Zahnstellung und Zahnzwischenraumsituation das richtige Spanngummi, von besonders dickem Kofferdam (0,35 mm) bis zu extrem dünnen Varianten. Findet der Kofferdam aufgrund zu geringer Zahnsubstanz keinen Halt am Zahn, helfen spezielle Kofferdamklammern, die sogenannten Tigerklammern von COLTENE. Je nach Behandlung kommen heute Produkte zum Einsatz, deren Inhaltstoffe sich nicht mit allen Kofferdammaterialien vertragen. Aus diesem Grund ist nach wie vor Latexkofferdam der beliebteste und stellt die Nummer 1 dar.
Unser Latex ist sehr widerstandsfähig. Er besitzt eine hohe Spannkraft und ausgezeichnete Retraktionseigenschaften, um am Zahn dicht anzuliegen. Doch es gibt Alternativen: Der elastischere, puderfreie Latexkofferdam Elasti-Dam oder der hochelastische, komplett latexfreie Flexi-Dam von COLTENE hat seine individuellen Stärken und wird von vielen zufriedenen Anwendern genutzt.

Wie dünn darf Kofferdam sein, ohne zu reißen?
Weis: Der dünnste Kofferdam von COLTENE hat eine Stärke von 0,10 mm.

Milchzahngebiss: Eine Kontraindikation?

In welchen Fällen legen Sie auch bei Kindern Kofferdam und was gilt es dabei zu berücksichtigen?
Listander: Bei allen Fissurenversiegelungen der bleibenden Zähne. Wichtig dabei ist, dass die Molaren weit genug durchgebrochen sind. Auch bei Kindern ist eine ausführliche Aufklärung entscheidend. Wir erklären ihnen genau, warum und wie das Tuch eingespannt wird, und zeigen es ihnen nach dem Anlegen im Spiegel.

Weis: COLTENE hat neben der Standardgröße eine spezielle Kindergröße mit 127 × 127 mm im Programm sowie entsprechende Kofferdamrahmen. Unser Kofferdam auf Rolle bietet dem Zahnarzt die Möglichkeit, die Kofferdamgröße durch Zuschneiden ganz individuell zu wählen.

Ist Kofferdam im Milchzahngebiss eine Kontraindikation?
Gernhardt: Das nicht, aber der Kofferdam hält dort schlechter. Milchzähnen fehlt die „Taille“, sie verjüngen sich nicht in der Form in Richtung Zahnhals, wie wir dies von bleibenden Zähnen kennen. Es ist also schwieriger, aber in der Regel lege ich bei adhäsiven und endodontischen Maßnahmen auch bei Kindern Kofferdam. Voraussetzung: Die Kinder tolerieren das. Letztlich steht und fällt das mit dem Behandler. Generell zu behaupten, das funktioniere nicht, ist falsch.

Rahm: Dennoch, ich arbeite bei Kindern lieber ohne Kofferdam mit einer zweiten Assistenz im Hintergrund, so dass die Trockenlegung gesichert ist, und sechs Hände können viel ausrichten. Kinder können zwar auch sehr umgänglich sein, es sollte jedoch sicher sein, dass die Angst vor Kofferdam nicht überwiegt, um kein Behandlungstrauma hervorzurufen.

Ein Blick in die Zukunft. Wann wird Kofferdam in der Allgemeinpraxis angekommen sein?
Gernhardt:
Die Prognose fällt schwer. Theoretisch weiß jeder Zahnmediziner, endodontische und adhäsive Maßnahmen funktionieren mit Kofferdam sicherer, besser und leichter. Dennoch sind die Hürden hoch, Kofferdam im Praxisalltag zu etablieren. Wer Kofferdam schätzt, ist zufrieden, wer Kofferdam ablehnt findet unzählige Argumente, um diese ablehnende Haltung zu erklären. Vor allem: Kofferdamgegner stellen fest, dass sie viele Therapien, endodontische oder Adhäsivtechnik, auch ohne Kofferdam adäquat und zuverlässig und mit hoher Qualität realisieren können. Manchmal erinnert mich die leidige Kofferdamdiskussion schon fast an die Kondom- oder Impfdiskussionen der letzten Jahrzehnte, jeder weiß, dass es hilft und besser ist, aber …

Aber bei Zahnhalskaries stößt Kofferdam doch definitiv an seine Grenzen?
Gernhardt: Nicht unweigerlich, sogenannte tiefgreifende Klammern helfen dabei, auch dann Kofferdam zu applizieren. Das erfordert etwas Geschick und man kommt auch nicht immer tief genug. Aber es stellt sich auch die Frage, ob sich überhaupt eine saubere Füllung realisieren lässt, wenn man nicht sieht, was man unterhalb des Zahnfleischrands appliziert.

Frau Dr. Listander, Sie sind ein Kofferdamfan, auch als niedergelassene Zahnärztin. Glauben Sie an eine flächendeckende Etablierung im Praxisalltag?
Listander: Die aktuellen Studentengenerationen bekommen den Mehrwert von Kofferdam ausführlich beigebracht und wenden diesen auch in ihren klinischen Semestern bis zum Examen an. Wir müssen Wege finden, Kollegen in der niedergelassenen Praxis von den Vorteilen des Kofferdams zu überzeugen. In meiner Praxis lässt sich die Anwendung von Kofferdam wunderbar in den Praxisalltag integrieren und somit eine zufriedenstellende und qualitätsorientierte Zahnmedizin erreichen.

Dr. Friederike Listander
studierte Zahnmedizin in Ulm und arbeitete dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung für Zahnerhaltung und Parodontologie, 2014 Niederlassung in eigener Praxis in Beimerstetten.
info@zahnarztpraxis-listander.de

Dr. Sylvia Rahm
ist seit 2001 niedergelassen in einer Gemeinschaftspraxis in Idstein. Ihre Spezialgebiete sind vor allem die Ästhetische Zahnheilkunde und die Funktionsanalyse und Therapie.
info@dr-rahm.de

Jörg Weis
ist gelernter Zahntechniker und seit mehr als 25 Jahren in der Dentalindustrie.Er ist Marketing Director EMEA/AP bei der ‧Coltène/Whaledent AG in Altstätten/Schweiz
joerg.weis@coltene.com

Prof. Dr. Christian Gernhardt
studierte Zahnmedizin in Ulm und Freiburg und ist stellvertretender Direktor der Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie an der Universitätklinik Halle.
christian.gernhardt@uk-halle.de