Zusammenfassung

Leitlinie zur Kariesprophylaxe mit 7 Kernempfehlungen

Die erste umfassende wissenschaftliche Leitlinie zur Kariesprophylaxe in Deutschland ist da: Nach Auswertung der internationalen Forschungsergebnisse erarbeiteten und konsentierten 14 Fachgesellschaften unter Federführung der DGZ und der DGZMK entsprechend dem Regelwerk der AWMF sieben Kernempfehlungen: drei zur täglichen Umsetzung, vier zur individuellen Abstimmung in der Zahnarztpraxis. Das DENTAL MAGAZIN hat die Ergebnisse zusammengefasst.



Im Oktober 2013 gab die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) eine wissenschaftliche Mitteilung zur Kariesprophylaxe heraus – und legte damit das Fundament für die erste umfassende Leitlinie zu diesem Thema, die alle bekannten kariespräventiven Interventionen berücksichtigt, inklusive Fluoridierungsmaßnahmen.

Nun ist sie da: Die S2k-Leitline „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen“. Herausgeber ist die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). An der Erststellung waren 14 Fachgesellschaften aus Wissenschaftlern, Zahnärzten, Ärzten und Gesundheitspraktikern beteiligt. Sie einigten sich nach Sichtung und Auswertung der international vorliegenden Forschungsergebnisse auf sieben grundlegende Empfehlungen, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist, wobei die Reihenfolge nicht als Rangfolge zu verstehen ist.

Im Einzelnen erläutern die Kapitel die mechanische und chemische Biofilmbeeinflussung, die Wirksamkeit von Prophylaxeprogrammen, die Fluoridierung, den Einfluss der Ernährung, die Speichelstimulation nach Mahlzeiten mit Kaugummi und die Versiegelung von kariesgefährdeten Fissuren. Die Leitlinie richtet sich an die Allgemeinbevölkerung, gibt jedoch keine speziellen Empfehlungen für Kinder im Vorschulalter und für Gruppen mit erhöhtem Kariesrisiko, wie z. B. strahlentherapierte Patienten oder Personen mit stark eingeschränkter Bewegungsfähigkeit.

Die Empfehlungen lassen sich folgendermaßen einordnen: Drei sollte jeder täglich selbst umsetzen, vier können nach Rücksprache mit dem Zahnarzt erfolgen oder werden vor Ort in der Praxis durchgeführt (Empfehlungen Seite 4).

Prophylaxe in Eigenregie: drei Empfehlungen für jeden Tag

1. Mechanische Biofilmreduzierung und Fluoridierung: zweimal täglich Zähneputzen
Mindestens zweimal tägliches Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta schützt besser vor Karies als einmal täglich zu putzen. Wie sauber die Zähne werden, hängt vor allem von der Zahnputzdauer ab. Nach zwei Minuten Putzen sind 41 Prozent der Plaque entfernt, während eine Minute nur 27 Prozent der Plaque reduziert. Dabei werden Essensreste entfernt, die ansonsten kariogenen Keimen als Substrat zur Verfügung ständen. Für die Entfernung des bakteriellen Biofilms eignen sich manuelle und elektrische Zahnbürsten gleichermaßen.

Zahnseide und Zahnzwischenraumbürsten werden oft empfohlen, weil sie die Interdentalräume erreichen und Plaque somit effektiver entfernen als die Zahnbürste allein. Allerdings gibt es keinen Beweis aus klinischen Studien, dass diese Hilfsmittel allein das Risiko für Approximalkaries vermindern. Wissenschaftler schlussfolgern, dass eine gute Biofilmentfernung mit Zahnbürste und Fluoridanwendung den karieshemmenden Effekt der Zahnseide möglicherweise überdeckt.

Außerdem sollte grundsätzlich im Haushalt fluoridhaltiges Speisesalz verwendet werden.


7 grundlegende Empfehlungen zur Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen
3 für jeden Tag 4 zur Abstimmung in der Zahnarztpraxis
Mechanische Verfahren zur Reduzierung des Biofilms und Fluoridierung
Als Basisprophylaxe sollen die Patienten mindestens zweimal täglich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta ihre Zähne so putzen. dass eine möglichst vollständige Entfernung des bakteriellen Biofilms resultiert. Dabei können je nach Patient unterschiedliche Zahnbürsten zum Einsatz kommen. Lassen sich Speisereste und Biofilm mit alleinigem Zähneputzen nicht ausreichend entfernen. sollen Hilfsmittel zur Approximalraumhygiene (Zahnseide. Interdentalbürsten) zusätzlich verwendet werden. Außerdem sollte grundsätzlich fluoridhaltiges Speisesalz verwendet werden
Prophylaxeprogramme
Durch die Kombination verschiedener Prophylaxemaßnahmen kann der Kariesentstehung maßgeblich vorgebeugt werden. Insbesondere Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko sollte die Teilnahme an strukturierten Prophylaxeprogrammen empfohlen werden.
Weitere Fluoridierungsmaßnahmen
Neben dem Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta kann (insbesondere bei kariesaktiven Patienten) die Anwendung von Zahnpasten mit erhöhter Fluoridkonzentration bzw. fluoridhaltiger Lacke. Gele oder Spüllösungen indiziert sein.
Ernährung
Die Gesamtmenge der täglichen Zuckeraufnahme und die Zahl zuckerhaltiger Mahlzeiten (Hauptmahlzeiten und Zwischenmahlzeiten) einschließlich zuckerhaltiger Getränke sollten möglichst gering gehalten werden. Speisen und Getränke ohne freie Zucker sollten bevorzugt werden.
Chemische Biofilmbeeinflussung
Bei durchbrechenden bleibenden Zähnen oder im freiliegenden Wurzelbereich kann die professionelle Anwendung von CHX- Lacken mit mindestens 1 Prozent CHX zur Kariesprävention empfohlen werden.
Speichelstimulation durch Kaugummikauen
Regelmäßiges Kauen von zuckerfreiem Kaugummi kann zur Kariesprophylaxe zusätzlich beitragen und kann deshalb insbesondere nach den Mahlzeiten empfohlen werden.
Fissurenversiegelungen
Im Rahmen eines Prophylaxekonzepts sollen kariesgefährdete Fissuren und Grübchen versiegelt werden.

2. Ernährung: Zuckeraufnahme gering halten
Nach einer zuckerhaltigen Mahlzeit sinkt der pH-Wert des Speichels, und das Kariesrisiko steigt. Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen Karies und dem häufigen Konsum von zuckerhaltigen Mahlzeiten oder Getränken zwischen den Hauptmahlzeiten. Zur Vorbeugung der Kariesentstehung ist es empfehlenswert, Zucker und zuckerhaltige Mahlzeiten (Haupt- und Zwischenmahlzeiten) und Getränke grundsätzlich in Maßen zu konsumieren und Speisen und Getränke ohne freie Zucker zu bevorzugen. Als freie Zucker gelten alle Zucker, die durch Hersteller oder Verbraucher Nahrungsmitteln zugesetzt werden, sowie die Zucker, die natürlich in Honig, Fruchtsäften, Sirup etc. vorhanden sind. Zuckeraustauschstoffe (Polyole) wie z. B. Xylit sowie Süßstoffe wie z. B. Cyclamat und Aspartam wirken nicht kariogen, weil orale Mikroorganismen sie nicht oder kaum zu Säuren verstoffwechseln. Trotz unzureichender Studienlage scheint es biologisch plausibel, dass das Kariesrisiko sinkt, wenn Zucker in Nahrungsmitteln durch Zuckeraustauschstoffe oder Süßstoffe ersetzt wird.

3. Speichelstimulation: Nach Mahlzeiten zuckerfreien Kaugummi kauen
Speichel wirkt in mehrfacher Hinsicht protektiv auf die Entstehung und Progression von Karies. Die Stimulierung des Speichelflusses nach Mahlzeiten verstärkt die Spülfunktion (Clearance), unterstützt damit die Reinigung der Mundhöhle von Nahrungsbestandteilen und fördert die Pufferung von Säuren. Es scheint somit biologisch plausibel, dass allein der Akt des Kauens mit nachfolgender Steigerung des Speichelflusses die Inzidenz und Progression von Karies verringern kann. Klinische Studien belegen, dass regelmäßiges Kauen zuckerfreier Kaugummis nach Mahlzeiten das Kariesrisiko verringert und deshalb als Basismaßnahme zur Kariesprophylaxe empfohlen werden kann.

Prophylaxe mit den Profis: vier Empfehlungen zur Abstimmung

4. Prophylaxeprogramme: insbesondere bei erhöhtem Kariesrisiko
Ein Gesamtkonzept, das unterschiedliche Prophylaxemaßnahmen umfasst, kann Karies bei allen Altersgruppen deutlich reduzieren. Dies zeigen sorgfältig durchgeführte klinische Studien. Prophylaxeprogramme sind oft Pakete aus Information, Motiva¬tion, Instruktion sowie diverse Fluoridapplikationen. Die meisten Programme mit Fluoridierungsmaßnahmen bewirkten eine Kariesreduktion von 30–70 Prozent. Dabei haben sich bestimmte Kombinationen von Maßnahmen oder Fluoridpräparaten anderen nicht als überlegen erwiesen. Grundsätzlich ist die Teilnahme an strukturierten Prophylaxeprogrammen empfehlenswert.

5. Weitere Fluoridierungsmaßnahmen: Lacke, Gele, Spüllösungen
Fluoridhaltige Präparate gehören zu den tragenden Säulen der Kariesprophylaxe. Effektive Standardmaßnahme ist die tägliche Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasten mit mindestens 1.000 ppm Fluorid. Dies gilt für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, so die einheitliche Schlussfolgerung von Fachgesellschaften und systematischen Übersichtsarbeiten. Je mehr und öfter mit fluoridhaltiger Paste geputzt wird, desto besser ist die prophylaktische Wirkung. Fluoridhaltige Mundspüllösungen eignen sich besonders für Schulkinder mit erhöhtem Kariesrisiko und für Jugendliche, die kieferorthopädisch behandelt werden. Für Patienten mit erhöhter Kariesaktivität sind fluoridhaltige Lacke oder Gele empfehlenswert. Lacke werden professionell vom Zahnarzt oder zahnmedizinischen Assistenzpersonal aufgetragen, Gele kann der Patient selbst einbürsten. Zur Prävention der Wurzelkaries kann zusätzlich die Anwendung einer hochkonzentrierten Zahnpasta indiziert sein.

6. Chemische Biofilmbeeinflussung: 1 Prozent CHX-Lack bei durchbrechenden Zähnen
Um das Wachstum kariogener Bakterien zu hemmen, kommen verschiedene chemische Verbindungen in Spüllösungen, Gele und Lacke zum Einsatz. Derartige Präparate verringern zwar die kariogene Keimzahl, die Datenlage zur kariesreduzierenden Wirkung ist allerdings schwach oder widersprüchlich. Insbesondere Patienten, die Karies mit Fluoridpräparaten vorbeugen, profitieren nicht zusätzlich von chemischen Plaque-Inhibitoren. Bei durchbrechenden bleibenden Zähnen oder im freiliegenden Wurzelbereich zeigten Chlorhexidinlacke mit mindestens 1 Prozent CHX jedoch einen kariesreduzierenden Effekt und können zur Kariesprävention empfohlen werden.

7. Fissurenversiegelungen: Bei stark kariesgefährdeten Grübchen
Bei Kindern und Jugendlichen sind Fissuren und Grübchen durchbrechender bzw. gerade durchgebrochener Molaren stark kariesgefährdet. Eine Fissurenversiegelung kann die Entstehung von Karies verhindern; sie erfolgt idealerweise im Rahmen eines umfassenden Prophylaxekonzepts. Im Einzelfall können auch stark kariesgefährdete Fissuren und Grübchen von Prämolaren und Frontzähnen versiegelt werden.

Fazit

„Bislang gab es nur eine wissenschaftliche Stellungnahme der DGZ, jetzt liegt erstmals eine von 14 Fachgesellschaften getragene wissenschaftliche Leitlinie vor, an der sich Zahnärzte und Patienten gleichermaßen orientieren können. Dahinter steht ein ehrgeiziges Ziel: Es geht um den Erhalt gesunder Zähne in der deutschen Bevölkerung“, appelliert Prof. Dr. Edgar Schäfer, Präsident der federführenden Fachgesellschaft DGZ. Nun gilt es, die sieben Kernempfehlungen der neuen Leitlinie öffentlich bekannt zu machen. Multiplikatoren sind nicht nur Zahnärzte und deren Praxisteams, sondern alle Berufsgruppen, die in der Gesundheitserziehung tätig sind. Dazu gehören Erzieher, Lehrer, Krankenkassen, Schulzahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Zahnärztekammern. Auch sämtliche an der Gruppenprophylaxe Beteiligten spielen eine verantwortliche Rolle bei der Erhaltung der Zahngesundheit, denn die geht alle an: „98 Prozent der Bevölkerung haben kein kariesfreies Gebiss“, erklärt Professor Schäfer. Zur flächendeckenden Verbreitung der Empfehlungen ist eine Patienteninformation in Entwicklung, die die Inhalte der Leitlinie allgemeinverständlich aufbereitet. 

Die Leitlinie finden Sie unter   www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083–021.html


Die Leitlinienmitglieder sind Repräsentanten folgender Fachgesellschaften/Organisationen
Bundesverband der Kinderzahnärzte (BUKiZ) Dr. Johanna Maria Kant, Dr. Andrea Thumeyer (Ko-Autorinnen)
Bundesverband der Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitswesen e. V. (BZÖG) Dr. Pantelis Petrakakis (Ko-Autor)
Bundeszahnärztekammer (BZÄK) Prof. Dr. Christoph Benz (Ko-Autor)
Deutsche Gesellschaft für Ästhetische Zahnheilkunde e. V. (DGÄZ) Annette Schmidt (Ko-Autorin)
Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche ‧Traumatologie (DGET) Prof. Dr. Andreas Braun (Ko-Autor)
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) Dr. Margrit Richter (Ko-Autorin)
Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) Prof. Dr. Ulrich Schiffner (Ko-Autor)
Deutsche Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien e. V. (DGPro) Prof. Dr. Helmut Stark, Prof. Dr. Bernd Wöstmann (Ko-Autoren)
Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ)* Prof. Dr. Werner Geurtsen, Prof. Dr. Elmar Hellwig, Prof. Dr. Joachim Klimek (Autoren)**, Prof. Dr. Stefan Rupf (Ko-Autor)
Deutsche Gesellschaft für Zahn-. Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)* Dr. Silke Auras (methodische Begleitung)
Freier Verband Deutscher Zahnärzte e. V. (FVDZ) Dr. Thomas Wolf (Ko-Autor)
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) Dr. Jörg Beck (Ko-Autor)
Verband Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) Dr. Florian Bertzbach, Dr. Peter Kiefner (Ko-Autoren)
Verband medizinischer Fachberufe e. V. (Referat Zahnmedizinische Fachangestellte) Sylvia Gabel, Nicole Morales Kränzle (Ko-Autorinnen)
* federführende Fachgesellschaften
** nicht stimmberechtigt