Funktionstherapie

Okklusionsschienen: Wann welche Schiene?

80 Prozent aller Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen werden von einer CMD ausgelöst. Ist der Bewegungsapparat mitbeteiligt, ändert sich auch die Okklusion. Nur durch interdisziplinäre Therapie bleibt die Okklusion stabil. Wichtigstes Hilfsmittel dabei ist die Okklusionsschiene.



Die Okklusionsschiene ist das wichtigste reversible Hilfsmittel, um die Kaumuskulatur und interdisziplinär auch die Muskulatur des Bewegungsapparats zu entspannen. Wir unterscheiden Entspannungs- und Repositionsschienen, die entweder im Oberkiefer oder im Unterkiefer eingesetzt werden.

Oberkieferschienen gehen meistens auf die Michigan-Schiene zurück, andere haben mit minimalen Änderungen einen neuen Namen bekommen. Zudem gibt es Schienen, die nur über die OK-Frontzähne gehen und die Seitenzähne nicht miteinbeziehen. Das kann bei einer Kompression zu einer Diskusverlagerung führen oder die Seitenzähne wachsen − bei längerer Tragedauer − zusammen und es entsteht so ein frontal offener Biss. Oberkieferschienen, also die Michigan-Schienen, nehme ich nur, wenn beidseitig alle Molaren im Oberkiefer fehlen oder wenn Oberkieferseitenzähne sehr beweglich sind, sowie bei einer Progenie. Diese Patienten werden direkt vor dem Registrat und vor dem Einsetzen der Schiene von einem Osteopathen auch craniosacral vorbehandelt. Dabei sollte jede Behandlung immer craniosacral mit der Occiput-Sacrum-Schaukel und der „Finger in Ear“-Therapie beginnen.

Der Patient beißt nach jeder Behandlung auf zwei Watterollen oder auf das Gelax Relax Bite Pad und kommt damit direkt in unsere Praxis. Das ist erforderlich, weil bei einer Oberkieferschiene keine craniosacrale Behandlung erfolgreich durchgeführt werden kann, da Blockaden der Suturen des Craniums, besonders des Os temporale, des Os occipitale oder der Sutura palatina mediana der Maxilla, bei Oberkieferschienen mit craniosacraler Therapie nicht gelöst werden können. Die Oberkieferschiene verhindert das, da die Oberkieferhälften blockiert werden. Deshalb dürfen wir nur in Ausnahmefällen eine Oberkieferschiene − mit vorausgegangener craniosacraler Therapie − einsetzen, oder wenn die interdisziplinäre Behandlung erfolgreich abgeschlossen ist und der Patient noch bruxiert oder presst. Dann ist eine OK-Schiene besser, da der Knochen des Oberkiefers nicht so stabil wie der des Unterkiefers ist und die Unterkieferfrontzähne senkrecht auf die OK-Schiene treffen.

Mehrere Varianten bei Unterkieferschienen

Da der Winkel der OK-Frontzähne flacher ist, besteht bei einer Unterkieferschiene bei Vorkontakten in der Front die Gefahr, dass die Oberkieferfrontzähne protrudiert werden. Die OK-Schiene fungiert dann als „Anti-Knirscherschiene“; dies ist bei eingeschliffenen Patienten aber selten, häufiger bei Patienten, die nicht eingeschliffen werden können. Eine Oberkieferschiene nach Vorbehandlung nehme ich auch dann, wenn ein myofunktionelles Problem der Zunge vorhanden ist, damit die Oberkieferfrontzähne nicht weiter von der Zunge protrudiert werden können. Nach erfolgreicher CMD-Therapie und myofunktioneller Therapie braucht der Patient die Schiene dann nicht mehr zu tragen.

Unterkieferschienen gibt es in mehreren Varianten: über alle Unterkieferzähne, nur über die Seitenzähne oder über die Seiten- und Eckzähne. Letztere sind lingual mit einem Sublingualbügel verbunden. Bei diesen Schienen ist keine Front- oder Front-Eckzahn-Führung vorhanden. Ich nehme für die interdisziplinäre Therapie – außer bei den beschriebenen Ausnahmen – immer eine Unterkieferschiene mit erweiterter Front-Eckzahn-Führung an, die ich entwickelt habe. Dadurch wird die Front-Eckzahn-Führung flacher und länger, um Stress besser abzubauen. Außerdem kann der Unterkiefer mit der Schiene bei den Lateral- und Protrusionsbewegungen nicht so schnell über die Oberkieferzähne springen und sich so verhaken. Das kommt besonders bei kieferorthopädisch behandelten Patienten vor, deren Front- und Eckzähne meistens nur 2 mm übergestellt wurden, statt funktionell richtig mit im Durchschnitt 4 mm.

Wann welche Schiene?

Die nicht adjustierten Schienen bringen gar nichts, sondern verschlimmern nach kurzer Zeit häufig die Beschwerden. Diese Schienen sind fast immer einfache tiefgezogene Schienen, die die vorhandene okklusale Situation nur erhöhen und nicht eingeschliffen werden können. Sie sind die am häufigsten produzierten Schienen und sollten nur kurzfristig eingesetzt werden, bis die richtige Schiene fertig ist. Besser ist es aber für die Zeit bis zur Fertigstellung der Schiene, einen Aqualizer einzusetzen, eine temporäre Schiene aus weichem Kunststoff, in der Wasserpolster mit kommunizierenden Röhren verbunden sind und so einen Ausgleich der Okklusion bewirken.

Dann gibt es noch unimaxilläre und bimaxilläre Apnoeschienen, die bei einer Schlafapnoe sehr erfolgreich eingesetzt werden. Das Ziel dieser Schienen ist eine Öffnung bzw. Vergrößerung des PAS (posterior airway space) durch eine protrusive Stellung des Unterkiefers während des Schlafs. Mit diesen Schienen kann aber keine CMD behandelt werden, deshalb sollte bei einer CMD erst eine interdisziplinäre Vorbehandlung erfolgen, bevor eine Apnoeschiene eingesetzt wird.

Einschleifen der Schiene zu zeitaufwendig

Bei einer myogenen interdisziplinären Therapie nehme ich nur Unterkieferschienen, die auf den Kauflächen glatt sind und keine Impressionen der Oberkieferstützhöcker haben. Der Unterkiefer verändert sich dreidimensional während der Vorbehandlung, und das kann er nicht, wenn er durch die Impressionen fixiert wird. Das kann er auch nicht mit Höckern auf der Schiene wie bei natürlichen Zähnen mit A-, B- und C-Kontakten. Das wird manchmal beschrieben, das Einschleifen der Schiene ist aber viel zu zeitaufwendig und völlig unnötig.

Eine Unterkieferrepositionsschiene nehme ich nur bei einer arthrogenen CMD. Die muss Impressionen für die Oberkieferstützhöcker von 2−3 mm haben, damit die in der Schiene Halt finden, um so die neue Position zu stabilisieren. Die Impressionen schleifen wir so weit ein, bis die Stützhöcker bei der dynamischen Okklusion keine störenden Kontakte mehr haben.

Dabei ist zu beachten, dass wir bei einem Patienten mit Diskusverlagerung und fehlenden Molaren im Ober- oder Unterkiefer auf dieser Seite eine Behandlung nicht erfolgreich durchführen können, weil der notwendige Druck der schleimhautgetragenen Schiene ohne Abstützung im OK- oder UK-Molarenbereich nicht erreicht werden kann. Nur mit Implantaten für die fehlenden Molaren kann der notwendige Druck aufgebaut und die Diskusverlagerung erfolgreich behandelt werden.

Welche Schiene besser vermeiden?

Mit folgenden Schienen und Methoden werden wir keinen Erfolg haben:

  • Mit einfachen, nicht adjustierten tiefgezogenen Schienen, die nicht eingeschliffen werden können und deshalb für eine Funktionstherapie absolut unbrauchbar sind! Nur adjustierte tiefgezogene Schienen sind geeignet, wenn wir sie im Artikulator einstellen und mit Kunststoff aufbauen, sodass sie adjustiert und immer wieder eingeschliffen werden können.
  • Mit Schienen, die in der habituellen Position des Patienten angefertigt werden und nur durch die Dicke der Schiene erhöht wurden. Dies liegt daran, dass der Patient selbst zubeißt und damit immer in seiner habituellen Kondylenposition schließt. Deshalb müssen wir erst mit zwei Watterollen (Meersseman-Test) und craniosacral den Bewegungsapparat und die Kiefergelenke in eine physiologische Position bringen. Dann führen wir nur beim ersten Registrat den Unterkiefer des Patienten in die vorläufige zentrische Kondylenposition.
  • Fast alle Schienen werden ohne regelmäßiges, in den ersten vier bis fünf Monaten wöchentliches Einschleifen eingesetzt und, wenn überhaupt, erst nach sechs Monaten kontrolliert.
  • Es wird nicht untersucht, ob eine Mitbeteiligung des Bewegungsapparats vorliegt, denn wenn der nicht interdisziplinär mitbehandelt wird, erhalten wir trotz Schiene keine stabile zentrische Kondylenposition, sie ändert sich ständig. Das passiert auch, wenn vor einer prothetischen Versorgung ein funktioneller Beckenschiefstand vorhanden ist, dann ändert sich ständig die Okklusion und die Probleme des Patienten beginnen. Deshalb sollten wir jeden Patienten auch auf einen Beckenschiefstand und eine Mitbeteiligung des Bewegungsapparates untersuchen, um keinen prothetischen Misserfolg zu bekommen.
  • Mit in den letzten Jahren modern gewordenen Unterkieferschienen, die mit einem sublingualen Bügel verbunden sind und bei denen die Schiene auf den Seitenzähnen nur bis zu den ersten Prämolaren geht, oder anderen, bei denen die Eckzähne mit einbezogen werden. Das heißt, dass bei der ersten keine Front-Eckzahn-Führung möglich ist und bei der zweiten nur eine eingeschränkte Eckzahnführung und keine Frontzahnführung. Diese Schienen werden deshalb so hergestellt, damit die Patienten tagsüber besser sprechen können. Aber ohne Front-Eckzahn-Führung knirschen die Patienten nachts mehr, weil die Führung fehlt, und zweitens wachsen die Frontzähne zusammen, weil der natürliche Stopp fehlt. Dann bekommen wir auf den Seitenzähnen nach wenigen Monaten eine Infraokklusion und später eine Kompression der Kiefergelenke mit allen negativen Folgen. Wir sehen das täglich bei fehlenden Zähnen, der Gegenzahn wächst heraus, und das ist bei Frontzähnen nicht anders. Da die allermeisten Schienen nur nachts getragen werden müssen, ist es mir unverständlich, warum da keine front-eckzahngeführten Schienen eingesetzt werden. Nur bei einer arthrogenen CMD (Kompres‧sion, Diskusverlagerung) muss die Schiene auch tagsüber getragen werden. In diesen Fällen können diese Patienten ohne Probleme zwei Schienen tragen, ohne Frontführung während der Arbeit und anschließend die restlichen 16 Stunden die zweite Schiene mit Front-Eckzahn-Führung.
  • Ähnlich negativ können auch Schienen wirken, die als Jig in der Oberkieferfront eingesetzt werden. Die dürfen bei einer myogenen CMD höchstens für ein paar Tage getragen werden, bis die Mundöffnung für Abformungen möglich ist. Bei einer bestehenden Kompression oder Diskusverlagerung ist diese Schiene aber absolut kontraindiziert. Bei längerer Tragedauer wachsen außerdem die Seitenzähne zusammen, und so kann eine offene Front entstehen.
  • Eine Repositionsschiene oder Dekompressionsschiene (pivoting appliance) dürfen wir nur bei einer arthrogenen CMD mit Kompression und Diskusverlagerung nehmen, niemals bei einer myogenen CMD. Als vor einigen Jahren die Dekompressionsschiene als Pivot-Schiene „neu“ vorgestellt wurde, wurden viele Pivot-Schienen hergestellt und sogar von Patienten nachgefragt. Dabei wird diese Schiene auch bei einer myogenen CMD empfohlen, indem man Zinnfolie von 0,8 mm in die Gelenkboxen des Artikulators legte, um die Kondylen zu entlasten. Bei einer myogenen CMD ist das aber absolut kontraindiziert, denn dann tritt genau das Gegenteil ein, die Muskulatur verspannt sich noch mehr, weil die Kondylen schon durch Vorkontakte distrahiert sind. Wir dürfen auch bei einem komprimierten Gelenk mit oder ohne Diskusverlagerung nicht pauschal die Gelenkbox um 0,8 mm unterlegen, sondern nur nach einer Gelenkraummessung oder nach Distraktion der Gelenke durch Physiotherapeuten und individuellem Aufbauen der Schiene.

Der Experte

Dr. Jürgen Dapprich
ist seit 1973 niedergelassen in eigener Praxis in Düsseldorf, seit 2005 widmet er sich ausschließlich der Funktionsdiagnostik und Therapie im CMD-Centrum Düsseldorf.
info@cmd-centrum-duesseldorf.de