Selbstständig oder angestellt?

Vertretung in Zahnarztpraxis und MVZ

Wenn der Zahnarzt an der Ausführung seiner Tätigkeit aufgrund von Urlaub, Krankheit oder sonstigen Gründen gehindert ist, stellt sich regelmäßig die Frage nach einem Vertreter. Ob dieser als selbstständig gelten kann oder angestellt sein muss, bestimmen die genauen Vertragsdetails genauso wie die tatsächliche gelebte Kooperation, wie einige aktuelle Urteile zeigen.


Vertretung Zahnarztpraxis selbstständig angestellt

Urlaub, Krankheit und Co.: Bei Ausfällen brauchen Praxen eine Vertreterregelung. Doch können Vertreter selbstständig arbeiten, oder müssen sie angestellt werden? © FatCamera


Traditionell wurden und werden Vertreter in zahnärztlichen Praxen als freiberufliche Vertreter beschäftigt. Dies gilt für die Urlaubs- und Krankheitsvertretung ebenso wie für die Vertretung in der Zahnarztpraxis oder MVZ im Notdienst. Die aktuelle Rechtsprechung der Sozialgerichte lässt jedoch aufhorchen. Nach den Honorararzturteilen des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2019 wurde jüngst durch das LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 07.02.2020 – 9 BA 92/18) zu einem Vertretungsarzt im MVZ entschieden, dass dieser sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.

Nach dem amtlichen Leitsatz sei ein ausschließlich zeitlich befristet als Vertretungsarzt im MVZ tätiger Arzt, der einbestellte Patienten behandelt und in die vom MVZ bereitgestellte Infrastruktur organisatorisch, personell und sachlich vollständig eingebunden ist sowie nach Stunden bezahlt wird, als abhängig Beschäftigter sozialversicherungspflichtig. Aus dem Vertragsarztrecht, insbesondere dem vertragsärztlichen Zulassungsrecht, folge nicht, dass der vertretungsweise tätige Arzt im MVZ zwingend selbstständig sein müsse.

Tatsächliches Dienstleistungsverhältnis maßgeblich

Hintergrund des Verfahrens war ein durch den Vertreter angestrengtes Statusfeststellungsverfahren. Die Deutsche Rentenversicherung kam zu dem Ergebnis, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handele, in deren Rahmen Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung bestünde. Die dagegen gerichtete Klage wurde durch das Sozialgericht abgewiesen. Über die dagegen eingelegte Berufung entschied das LSG Berlin-Brandenburg einstimmig durch Beschluss.

Der Senat nahm insbesondere Bezug auf die Urteile des Bundessozialgerichts vom 04.06.2019. Das Bundessozialgericht hat in den genannten Entscheidungen zur honorarärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus ausgeführt, dass für die Beurteilung im Rahmen des maßgeblichen § 7 SGB IV die für eine Beschäftigung allgemein geltenden Maßstäbe Anwendung fänden und keine im Vergleich zu anderen Tätigkeiten abweichenden Maßstäbe gelten würden. Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit habe nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder zu erfolgen, sondern anhand der konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts. Auch für die Tätigkeit von Honorarärzten im Krankenhaus würden danach keine abweichenden Maßstäbe gelten. Es spiele insbesondere keine Rolle, ob nach der Verkehrsanschauung anerkannt ist, dass diese selbstständig tätig sein können. Maßgeblich, so das Gericht, sei das Dienstleistungsverhältnis in seiner tatsächlichen Durchführung nach Abschluss der Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien. Ausgangspunkt seien die schriftlichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten, deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht zu prüfen sei. Daneben sei zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt seien, und schließlich sei auch die tatsächliche praktische Umsetzung der dokumentierten Vereinbarung zu prüfen.

Indizien sprachen für abhängige Beschäftigung

Im entschiedenen Fall war die Vertretung in der Zahnarztpraxis vertraglich verpflichtet, in einem zusammenhängenden Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.12.2015 monatlich bis zu 32 Stunden ärztliche Dienstleistungen in den Räumlichkeiten des MVZ zu erbringen. Dazu hat er vor Beginn des jeweiligen Monats mit der leitenden medizinischen Fachangestellten – der Klägerin – die konkreten einzelnen Dienstzeiten abgesprochen und so die Leistungspflicht konkretisiert. Zwar hätten die Parteien nach der Feststellung des Gerichts mit ihrer Vereinbarung einen freien Dienstvertrag begründen wollen. In der Gesamtabwägung komme aber dem Willen dann keine überragende Bedeutung zu, wenn die übrigen Indizien für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Zudem sei die tatsächlich gelebte Praxis zu beurteilen, da diese den formellen Vereinbarungen grundsätzlich vorgehe. Der Arzt sei in diesem Fall weisungsabhängig in ein fremdes Unternehmen eingegliedert gewesen. Er hätte nur ein untergeordnetes Unternehmerrisiko gehabt, und auch aus den Vorgaben des Vertragsarztrechts für das MVZ oder speziell die Tätigkeit des betreffenden Arztes folge keine andere Beurteilung.

Der Arzt habe bei den jeweils verabredeten Diensten die Patienten behandelt, die das MVZ zu diesen Terminen einbestellt hatte, die ihm damit (einseitig) von dem MVZ zugewiesen worden seien. Auch soweit in der getroffenen Vereinbarung festgehalten sei, dass der Arzt in seiner medizinischen Verantwortung unabhängig sei, und er die alleinige ärztliche Verantwortung für seine Patienten trage, stünde dies der Annahme einer weisungsgebundenen Tätigkeit nicht entgegen. Die Vereinbarung berücksichtige, dass die ärztliche Tätigkeit an sich Besonderheiten aufweise. Ärzte handelten bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich.

In diesem Sinne gewährleiste die Regelung in der Vereinbarung, dass der betreffende Arzt weisungsfrei seine ärztliche Tätigkeit ausüben konnte. Diese fachliche Weisungsfreiheit könne von vorne herein nicht ohne Weiteres als ausschlaggebendes Abgrenzungsmerkmal herangezogen werden. Zumindest könne aus ihr nicht ohne Weiteres auf seine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Zudem sei der Arzt auch fachlich gerade nicht gänzlich frei gewesen, denn er habe nach der getroffen Vereinbarung die Behandlungsleitlinien des MVZ befolgen müssen.

Fremdbestimmte Dienstleistung

Hinzu komme, so das Gericht, dass der Arzt mit seiner ärztlichen Tätigkeit jedenfalls in ein fremdes, nicht sein eigenes Unternehmen eingegliedert gewesen sei. Weisungsunabhängigkeit und Eingliederung stünden weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie beide vorliegen. Eine Eingliederung geht nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht einher. Gerade bei Hochqualifizierten oder Spezialisten könne das Weisungsrecht auf das stärkste eingeschränkt und die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in dem der Dienst verrichtet wird. Das Weisungsrecht sei dann zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert. Es sei daher unschädlich, wenn die umfassende Weisungsabhängigkeit nicht gegeben ist, sofern die Tätigkeit vollständig fremdbestimmt innerhalb eines vorgegebenen organisatorischen Betriebsablaufs erfolge.

Für die ärztliche Tätigkeit in einem Krankenhaus hatte das BSG eine solche vollständige Einbindung angenommen. Es begründet sie unter anderem damit, dass der Arzt seinen Dienst nicht anders erbrachte als sonstige Krankenhausärzte, sich während des Dienstes in der Klinik aufhalten musste, mit dem übrigen Personal arbeitsteilig zusammengearbeitet hat und dazu die Infrastruktur der Klinik nutzte. Die Eingliederung und dienende Teilhabe bestehen nach dem BSG auch dann, wenn Ärzte im Krankenhaus nur am Wochenende, also nur zeitweise, tätig und nicht mit der kontinuierlichen Patientenversorgung im Tagesdienst befasst sind.

Vollständig in die Struktur eingebunden

Übertragen auf die Tätigkeit des Vertreters im MVZ gilt nach Meinung des LSG im Ergebnis nichts anderes. Auch dieser sei während seiner Dienstzeiten vollständig in die vom MVZ vorgegebene Organisationsstruktur eingebunden, nutze sämtliche Infrastruktur und habe dem nichtärztlichen Personal im Rahmen seiner Tätigkeit Anweisungen gegeben. Der Arzt habe die Räumlichkeiten in dem Umfang nutzen können, in dem sie nicht von anderen Ärzten als MVZ belegt waren. Er habe die Patienten des MVZ zu den Zeiten behandelt, zu denen diese vom MVZ einbestellt waren. Beides stelle eine Einordnung in vorgegebene Strukturen dar, denn er habe nicht frei entscheiden können, wen er wann und wo behandele. Er habe ausschließlich die Räumlichkeiten und Gerätschaften des MVZ und damit eine für ihn fremde Infrastruktur genutzt und auf deren Ausgestaltung keinen Einfluss gehabt. An den Entscheidungen über die Anschaffungen der Geräte und der sonstigen Einrichtungen sei er nicht beteiligt gewesen und das Personal des MVZ hätte die Terminvereinbarung und Koordinierung der Patienten während ihres Besuches übernommen, diese teilweise verkabelt, also für die Untersuchung durch den Arzt vorbereitet. Der Arzt sei gegenüber dem nichtärztlichen Personal gemäß der Vereinbarung weisungsbefugt gewesen. Speziell in der Ausübung des Weisungsrechts im Auftrag und anstelle des MVZ, so das LSG, zeige sich die organisatorisch funktionelle Eingliederung überdeutlich. Da auch im Übrigen die Anhaltspunkte nicht für eine selbständige Tätigkeit sprechen würden, insbesondere der betreffende Arzt kein Unternehmerrisiko trug und vom Haftpflichtversicherungsschutz des MVZ umfasst war, gelangte das Gericht insgesamt zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung.

Nach diesen Feststellungen dürfte es künftig schwerlich möglich sein, Vertretertätigkeiten in größeren Einheiten, wie insbesondere medizinischen Versorgungszentren, durch freiberufliche Vertreter ausführen zu lassen. Selbst wenn diese nur wochenweise die Urlaubs- oder Krankheitsvertretung einzelner Ärzte übernehmen, wird man die Tätigkeit der Vertretung in der Zahnarztpraxis oder MVZ an diesen Maßstäben messen müssen. Dabei ist zu bedenken, dass es dem Wesen des MVZ entspricht, dass die Behandlungsverträge der Patienten zum MVZ begründet und daher durch das MVZ bzw. dessen Mitarbeiter auch die Termine vereinbart werden. Der vertretungsweise im MVZ tätige Arzt wird also immer in die Terminvergabestrukturen des MVZ eingebunden sein. Zudem stehen MVZ per definitionem unter zahnärztlicher/ärztlicher Leitung, sodass auch der ärztliche Leiter gegenüber Vertretern seine Leitungsfunktion ausüben können muss. Schließlich wird ein Vertreter in aller Regel auch die Einrichtung und Räumlichkeiten sowie das Personal der Einrichtung nutzen und gegenüber dem Personal weisungsbefugt sein müssen. Es ist daher schwer vorstellbar, dass man bei einer Vertretung in der Zahnarztpraxis oder in einem MVZ zu einer anderen Beurteilung kommen kann, als es das LSG Berlin-Brandenburg tut.

Auf der nächsten Ebene wirft das Urteil natürlich die Fragen auf, wie die Situation bei einer zahnärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft und schließlich in einer Einzelpraxis zu beurteilen ist.

Was bedeutet das für BAG und Einzelpraxis?

Die Berufsausübungsgemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Zahnärzte im Rahmen einer Praxis ihrer zahnärztlichen Tätigkeit gemeinsam nachgehen. Sie sind meist Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und daher mehr oder weniger gleichberechtigt. Gegenüber Angestellten, Zahnärzten und Nichtzahnärzten sind sie weisungsbefugt. Auch in dieser Konstellation ist es prima vista kaum vorstellbar, dass der Vertreter eines erkrankten Gesellschafters nicht in den Betrieb eingegliedert ist. Auch ein Vertreter innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft wird regelmäßig den Weisungen der anderen Gesellschafter der Berufsausübungsgemeinschaft unterliegen. Die Strukturen sind daher mit denjenigen des MVZ vergleichbar, sodass auch hier meist eine abhängige Beschäftigung im Raum stehen dürfte.

Eine eher ungewöhnliche Konstellation lag dem Urteil des LSG Baden-Württemberg (Urt. v. 27.03.2017 – L 11 R 2433/16) zugrunde, in dem das Gerichts eine selbstständige Vertretertätigkeit annahm. Die Besonderheit lag darin, dass die als Urlaubsvertretung tätig gewordene Fachärztin frei entscheiden konnte, an welchen Tagen sie eine Urlaubsvertretung wahrnimmt. Zwar wurde sie nach Anzahl der geleisteten Stunden honoriert, war aber nicht in das Zeiterfassungssystem der Praxis und auch sonst nicht in die Praxisorganisation eingebunden. Außerdem bestand ihre Tätigkeit vordergründig im Befunden von Röntgenbildern, so dass sie auch nicht von der Terminvergabe der Berufsausübungsgemeinschaft abgängig war. Wenn indes in einer Berufsausübungsgemeinschaft ein Vertreter eine regelhafte, das heißt tägliche Vertretung zu bestimmten Zeiten für einen der abwesenden Partner durchführt, würde man wohl eher zu anderen Ergebnissen kommen.

Tatsächlich gelebte Praxis entscheidend

Schließlich bleibt die Beurteilung der Situation in einer Einzelpraxis. Auch diese Fragestellung ist nicht pauschal, sondern im Einzelfall zu beurteilen. Festzuhalten ist, dass auch hier der vertragszahnärztliche Status des Vertreters im Zusammenhang mit der Sozialversicherungspflicht keine Rolle spielt. Es kommt allein auf das Vertragsverhältnis und die tatsächlich gelebte Praxis an. Das Bundessozialgericht hatte in einem Urteil vom 27.05.1959 – 3 RK 18/55 – noch entschieden, dass eine Abhängigkeit eines Arztvertreters nicht damit begründet werden könne, dass er im Rahmen eines fremden Arztbetriebes tätig werde, in dem er die Patienten regelmäßig in den Räumen des Praxisinhabers behandle, die von diesen festgelegten Sprechstunden einhalte, die in der Praxis vorhandenen Geräte benutze und sich des vorhandenen ärztlichen Hilfspersonals bediene. Um eine Eingliederung annehmen zu können, müsse vielmehr ein – wie immer geartetes – Unterordnungsverhältnis vorliegen, das indessen beim Arztvertreter – sofern nicht abweichende Vereinbarungen getroffen sind – nicht besteht. Insofern mag die Vertretung in der Zahnarztpraxis durch einen freiberuflichen Vertreter in einer Einzelpraxis durchaus (noch) umsetzbar sein. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung ist aber auch diese Konstellation künftig kritisch zu hinterfragen.

Die verschiedenen Urteile verdeutlichen, dass es nicht selten auf Kleinigkeiten im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung, aber vor allem auch der tatsächlich gelebten Kooperation ankommt. Es empfiehlt sich daher in jedem Fall eine genaue Prüfung der Rechtslage. Will man absolut sicher gehen, sollte eine Statusanfrage erfolgen.


Der Experte

Jens-Peter Jahn

© privat

RA Jens Peter Jahn

ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei michels.pmks Rechtsanwälte in Köln mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.