Recht

„Freie Mitarbeit“ ist rechtlich problematisch

Als Inhaber einer Praxis hat ein Zahnarzt die Möglichkeit, einen anderen vermeintlich selbstständigen Zahnarzt als „freien Mitarbeiter“ bei sich in der Praxis zu beschäftigen. Diese Art der Anstellung kann jedoch zu vielerlei rechtlichen Problemen führen.


Die freie Mitarbeit hat unter anderem den Vorteil, dass sämtliche Nachteile der Festanstellung, wie z. B. die Zahlung von Sozialbeiträgen wegfallen. Für eine zahnmedizinische Tätigkeit ist diese Form der Anstellung jedoch nicht zu empfehlen. © Tyler Olson/fotolia


Zahnarztpraxisinhaber haben sich bei der Einstellung eines Zahnarztes mit der Frage zu beschäftigen, ob sie diesen als Angestellten beschäftigten oder sich für die Alternative der selbstständigen, d. h. freien, Mitarbeit entscheiden. Im Gegensatz zum Angestelltenverhältnis bietet die freie Mitarbeit unter anderem den Vorteil, dass sämtliche Nachteile der Festanstellung, wie z. B. die Zahlung von Sozialbeiträgen, Urlaubsansprüche und der Kündigungsschutz, wegfallen. Juristisch gesehen ist die freie Mitarbeit jedoch höchst bedenklich. Dass sie in nur wenigen Fällen realisierbar ist, liegt an den hohen Anforderungen, die für eine freie Mitarbeit zu erfüllen sind.

„Kooperationspartner“

Auch das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hatte sich mit dieser Problematik zu beschäftigen. Mit Urteil vom 17.05.2017 (Az.: L 2 R 427/15) entschied es, dass ein Zahnarzt, der in einer fremden Praxis bei der Patientenbehandlung mitwirkt und mit einem prozentualen Anteil an dem Behandlungserlös entlohnt wird, ohne an dem Vermögen und dem Gewinn der Praxis beteiligt zu sein, trotz vertraglich vereinbarter selbstständiger Tätigkeit als „Kooperationspartner“ regelmäßig abhängig beschäftigt ist.

Zwischen den Beteiligten war streitig, ob der Zahnarzt aufgrund seiner für den Praxisinhaber ausgeübten Tätigkeit als Facharzt für Oralchirurgie als abhängig Beschäftigter oder als Selbstständiger beruflich tätig war und der Versicherungspflicht unterlag. Nach dem von den Parteien unterzeichneten „Kooperationsvertrag“ waren diese zur kollegialen Zusammenarbeit und gegenseitiger konsiliarischer Beratung verpflichtet, wobei jedoch jeder für sein zahnärztliches Handeln selbst verantwortlich war.

Handlungsspielräume nicht ersichtlich

Relevantes eigenes Kapital oder eigene Betriebsmittel sollte der Zahnarzt nicht einsetzen, sodass aufseiten des Zahnarztes ein rechtlich relevantes Unternehmensrisiko nicht gegeben war. Die Behandlung der Patienten erfolgte unter der fachlichen Aufsicht des Praxisinhabers, wobei dieser seinem Kooperationspartner auch die Behandlungsräume, die erforderlichen Materialien sowie Arbeits- und Hilfsmittel zur Verfügung stellte. Ebenfalls wurden die Urlaubs- und Abwesenheitszeiten zwischen den Vertragsparteien abgestimmt. Dem Zahnarzt wurden die Patienten von der Rezeption der Praxis zugeteilt und seine Dienstzeit entsprechend den Dienstplänen vom Arbeitgeber geregelt. Auch verpflichtete sich der Zahnarzt zur regelmäßigen Teilnahme an stattfindenden Dienstbesprechungen.

Das LSG Niedersachsen-Bremen schloss sich dem erstinstanzlichen Urteil des SG Lüneburg an und stellte fest, dass die von dem Zahnarzt für den Praxisinhaber wahrgenommene Tätigkeit als Oralchirurg ein die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung gem. § 24 Abs. 1 SGB III begründendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt. Die gebotene Gesamtschau der maßgeblichen Einzelfallumstände spreche für das Vorliegen eines abhängigen und versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Der Zahnarzt sei im Sinne einer funktionsgerechten Einordnung, in der fremdbestimmte Arbeit geleistet werde, wie ein Beschäftigter in der Praxis des Praxisinhabers eingeordnet. Etwaige Handlungsspielräume seien für den Zahnarzt nicht ersichtlich gewesen. Auch sei nur der Praxisinhaber nach außen erkennbar als selbstständiger Zahnarzt aufgetreten und habe mit den Patienten sämtliche Behandlungsverträge abgeschlossen und Rechnungen ausgestellt.

Die abhängige Beschäftigung

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist die Beschäftigung „die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Dies ist dann zu bejahen, wenn der Beschäftigte in einen fremden Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Selbstständige Tätigkeit

Kennzeichnend für eine selbstständige Tätigkeit ist dagegen das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Eine Abgrenzung ist – auch im zahnärztlichen Bereich – anhand des Überwiegens der jeweiligen Merkmale zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.2013, Az.: B 12 KR 19/11). Weitergehende Möglichkeiten, auf die bindenden gesetzlichen Vorgaben über die Sozialversicherungspflicht bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen zu verzichten, gebe es nicht, so das LSG Niedersachsen-Bremen.

Nachforderungen können folgen

Der dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen zugrunde liegende Sachverhalt verdeutlicht, dass die Möglichkeit der „freien Mitarbeit“ in vielerlei Hinsicht rechtlich problematisch ist. Sollte im Nachhinein festgestellt werden, dass in Wahrheit eine abhängige Beschäftigung vorlag, hat der Arbeitgeber erhebliche Nachforderungen der Sozialversicherungsträger und im schlimmsten Fall auch der Finanzämter zu befürchten. Bei der Berechnung der Rückstände in der Sozialversicherung werden gem. § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV die Zahlungen an den Mitarbeiter i. d. R. als Nettolohn qualifiziert und dementsprechend – unabhängig von der vertraglichen Regelung – muss der Arbeitgeber für den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil aufkommen. Hinzu kommen Säumniszinsen i. H. v. 1 % pro Monat (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Dies kann unter Umständen existenzgefährdende Beträge erreichen.

Kommt es zu einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit einem vermeintlich freien Mitarbeiter, kann rückwirkend ein Arbeitsverhältnis festgestellt werden, was Rückzahlungsansprüche der Sozialversicherung zur Folge hätte. Auch kann der freie Mitarbeiter in einem solchen Fall sämtliche, einem Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber zustehenden Ansprüche (Urlaub, Mutterschutz usw.) geltend machen. Nachforderungsansprüche drohen auch dann, wenn die Rentenversicherung im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens zu dem Ergebnis kommt, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Relevant kann auch der Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) werden.

Berufsausübungsgemeinschaft           

Im vertragszahnärztlichen Bereich regelt § 32b Abs. 2 der Zulassungsverordnung für Zahnärzte (Zahnärzte-ZV) ausdrücklich, dass die Anstellung des Zahnarztes der Genehmigung des Zulassungsausschusses bedarf, und unterbindet somit die Beschäftigungsmöglichkeit der freien Mitarbeit.

§ 29 Abs. 2 Satz 1 des Heilberufsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (HeilBerG NRW) sieht vor, dass die Ausübung zahnärztlicher Tätigkeit außerhalb von Krankenhäusern und außerhalb von Privatkrankenanstalten nach § 30 GewO an die Niederlassung in einer Praxis gebunden ist, soweit nicht gesetz‧liche Bestimmungen etwas anderes zulassen oder eine weisungsgebundene zahnärztliche Tätigkeit in der Praxis niedergelassener Zahnärzte ausgeübt wird.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass selbst die Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft über den sozialversicherungsrechtlichen Status der einzelnen Gesellschafter nichts aussagen muss. So ist es denkbar, dass bei Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft durch den Zulassungsausschuss eine Sozialversicherungspflicht besteht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2016, Az.: L 5 R 1176/15).

Fazit

Von der Einstellung eines Zahnarztes als „freier Mitarbeiter“ muss daher dringend abgeraten werden, da die Voraussetzungen für ein solches selbstständiges Beschäftigungsverhältnis in der Regel nicht vorliegen und es sich regelmäßig um einen abhängigen Beschäftigten handelt. Die zahlreichen Risiken der Beschäftigung freier Mitarbeiter sowie die weitreichenden Konsequenzen für den Praxisinhaber sollten dabei nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem sollten die mit der freien Mitarbeit einhergehenden Vorteile genauestens abgewogen werden. Im Ergebnis ist daher der Abschluss eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zu empfehlen.

RA Jens-Peter Jahn
ist Fachanwalt für Medizinrecht in der Kanzlei DR. HALBE RECHTSANWÄLTE in Köln mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Zahnarztrecht.
koeln@medizin-recht.com