Recht/Haftung

Rechtmäßige Behandlung

Wenn die geistigen Fähigkeiten des Patienten im Alter nachlassen, müssen Stellvertreter, nicht die Ärzte selbst, Entscheidungen fällen: Ohne Einwilligung des entscheidungsfähigen Patienten oder seines gesetzlichen Stellvertreters gilt die Behandlung als strafrechtlich relevante Körperverletzung.



Das Thema Alterszahnmedizin betrifft nahezu jeden Zahnarzt: Während in manchen Praxen durchschnittlich viele Patienten älteren Jahrgangs behandelt werden, sind sie in anderen gar die Schwerpunktklientel. Neben zahnmedizinischen Herausforderungen stellen sich auch immer wieder rechtliche Fragen, die bei Unkenntnis im Zweifel auch ein Risiko darstellen können.

Die rechtliche Herausforderung liegt in der Frage der Einwilligungsfähigkeit der älteren Patienten und ist ein elementarer Bestandteil der zahnärztlichen Behandlung. Denn die zahnärztliche wie auch die ärztliche Behandlung wird als strafrechtlich relevante Körperverletzung verstanden, die erst durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt wird. Einwilligen kann jedoch nur derjenige, der auch einwilligungsfähig ist. Das ist bei älteren Patienten nicht immer eindeutig bestimmbar. Einwilligungsfähigkeit ist nicht mit Geschäftsfähigkeit – also der Einwilligung in den Behandlungsvertrag – gleichzusetzen, sondern ergibt sich vielmehr aus der freien Willensbestimmung, die sich nach der Einsichtsfähigkeit des Betroffen bestimmt.

Betreute Patienten und unklare Fälle

In der Praxis können diese Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die erste Gruppe sind die betreuten Patienten. Diese können aufgrund von Krankheiten, wie beispielsweise der Altersdemenz, nicht mehr eigenständig Entscheidungen treffen, weshalb ihnen ein Betreuer zur Seite gestellt wurde (§ 1896 BGB). Die Betreuung wurde vor einigen Jahren mit Abschaffung der Vormundschaft eingeführt. Ein Betreuer wird gerichtlich bestellt. Es kann sich um Verwandte, Bekannte, Ehrenamtliche oder gerichtliche Betreuer handeln. Ein Betreuer kann nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die einzelnen Aufgabenkreise sind unter anderem Gesundheitssorge, Vermögenssorge, Personensorge, Regelung der Wohnungsverhältnisse, Aufenthaltsbestimmung, Überwachungssorge oder Vertretung vor Gerichten und Behörden. Neben diesen Aufgabenkreisen gibt es noch viele andere; für die zahnärztliche Behandlung ist zunächst der Bereich der Gesundheitssorge, aber auch der Vermögenssorge entscheidend.

Sollte für einen Patienten ein Betreuer bestellt worden sein, hat der Zahnarzt in Erfahrung zu bringen, ob der Betreuer auch im Rahmen der Gesundheitssorge bestellt wurde. Das gilt vor allem auch bei Patienten in Pflegeheimen und Senioreneinrichtungen. In der Praxis kommt es gerade dort immer wieder zu Problemen. Es ist Aufgabe des Zahnarztes, sich zu vergewissern, dass der Patient einwilligen kann. Im Zweifelsfall muss der Betreuer kontaktiert werden – auch dies sollte im Übrigen für die Patientenakte dokumentiert werden.

Grundsätzlich umfasst die Gesundheitssorge alle gesundheitlichen Angelegenheiten des Betreuten, wie beispielsweise die Entscheidung über Einzelheiten bei einer ambulanten oder (teil-)stationären Pflege, die Durchsetzung des in der Patientenverfügung festgelegten Willens, die Einwilligung in sämtliche Maßnahmen zur Untersuchung des Gesundheitszustands, die Einwilligung in zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen, Einsicht in die Patientenakte, Entbindung von der zahnärztlichen Schweigepflicht etc.

Urkunde oder Ausweis verlangen

In Einzelfällen kann sie allerdings auch beschränkt oder erweitert werden („Gesundheitsfürsorge im Bereich nervenärztliche Behandlung“ oder erweitert durch Sterbehilfe), da die Aufgabenkreise vom Betreuungsgericht individuell formuliert werden. Daher sollte der Zahnarzt immer auch eine Kopie der Betreuungsurkunde beziehungsweise des Betreuerausweises verlangen und diese in der Patientenakte hinterlegen. Da die Betreuung lediglich eine Fürsorgepflicht ist, kann daraus nicht zweifellos auf fehlende Einwilligungsfähigkeit geschlossen werden. Der Betreuer sollte gleichwohl einbezogen werden.

Die zweite Gruppe sind unerkannt nicht einwilligungsfähige Personen, bei denen der Zahnarzt unsicher ist, ob die Einwilligungsfähigkeit noch gegeben ist. Einen Betreuer oder Bevollmächtigten gibt es dann in der Regel noch nicht. Der Zahnarzt sollte in diesen Fällen zunächst versuchen, die Einsichtsfähigkeit durch ein Gespräch und einen Anamnesebogen mit speziellen Fragestellungen festzustellen. Der Begriff Einsichtsfähigkeit oder Einwilligungsfähigkeit ist gesetzlich nicht definiert, jedoch schon mehrfach Gegenstand verschiedenster Rechtsprechung gewesen. Es wird, vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, größter Wert auf Einsichtsvermögen und Entschlussfähigkeit gelegt.

Der Patient muss die Bedeutung und Tragweite der zahnärztlichen Behandlung verstehen. Da der Zahnarzt immer eine Einzelfallentscheidung treffen muss und sich wenig an starren, festgelegten Kriterien orientieren kann, spielen wohl auch äußere Faktoren, wie die Schwere des Eingriffs, eine Rolle. Als Anhaltspunkte dienen konkrete Nachfragen im Erstgespräch. Sollten Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit des Patienten bestehen und ist der Eingriff langwierig und kompliziert, dann sollte vorab überprüft werden, ob tatsächlich kein gesetzlicher Vertreter, Bevollmächtigter oder Betreuer besteht.

Dabei kann der Zahnarzt bei Verdacht auf beispielsweise fortgeschrittene Demenz auch eine Betreuung anregen, sollte noch keine bestehen. Bei Unsicherheiten sollte immer auch ein Angehöriger kontaktiert werden.

Eine Behandlung trotz fehlender Geschäfts- oder Einwilligungsfähigkeit kann zum Verlust des Honoraranspruchs führen oder gar strafrechtlich relevante Folgen haben. Bei großen Unsicherheiten kann auch immer die zuständige Landeszahnärztekammer befragt werden.

Angelika Habermehl  ist Rechtsanwältin mit der Zusatzqualifikation Pharmarecht und hat sich in der Kanzlei für Medizinrecht Prof. Schlegel – Hohmann Partner auf Medizinrecht und Vertragszahnarztrecht spezialisiert. Weitere Schwerpunkte liegen bei Zulassungs- und Ermächtigungsverfahren und im Berufsrecht.