Interview mit Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, BZÄK

“Trend zur Zunahme der Angestelltenverhältnisse”

Immer mehr Zahnärzte arbeiten als Angestellte. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), spricht im Interview über die Work-Life-Balance der jungen Zahnärztegeneration und die Suche nach der richtigen Berufsausübungsform.


Prof. Dr. Dietmar Oesterreich

"Trend zur Zunahme der Angestelltenverhältnisse" – Prof. Dietmar Oesterreich Foto: privat


Heute arbeiten fast doppelt so viele männliche Zahnärzte als Angestellte in einer Praxis wie noch vor einigen Jahren, das zeigt ein Blick ins aktuelle Statistische Jahrbuch und resümierte kürzlich der Verband Dentista. Doch woran liegt das? Kann man von einem Trend sprechen? Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, im Gespräch mit DENTAL MAGAZIN.

Immer mehr männliche Zahnärzte sind im Angestelltenverhältnis tätig. Ein klarer Trend?

Oesterreich: Die Daten des statistischen Jahrbuchs 2013/2014 der Bundeszahnärztekammer machen deutlich, dass bereits mit dem Jahr 2006 beginnend der Anteil der in den Praxen angestellten Zahnärzte an allen behandelnd tätigen Zahnärzten im Zeitraum bis 2013 um 10 Prozent zugenommen hat. Generell hat sich somit die Anzahl der abhängig beschäftigten Zahnärzte (ohne Assistenten) in diesem Zeitraum nahezu verfünffacht. Bedingt durch die deutliche Zunahme von Zahnärztinnen im Berufsstand ist der Anteil dieser an den Angestelltenverhältnissen deutlich höher. Allerdings tendieren auch männliche Zahnärzte deutlich zum Angestelltenverhältnis. Generell sind 76,4 Praxis der zahnärztliche tätigen Zahnärzte in eigener Praxis niedergelassen.

Warum ist die Anstellung zurzeit so beliebt?

Oesterreich: Ein deutlicher Trend zum Rückgang der Niederlassung fällt in die Zeit des 2007 in Kraft getretenen Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG). Somit ist die steigende Anzahl behandelnd tätiger Zahnärzte im ambulanten Bereich primär auf den starken Zuwachs abhängiger Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen. Die berufliche Sozialisation zu Beginn der Berufsausübung weist kaum Unterschiede zwischen Zahnärztinnen und Zahnärzten auf. Gleichzeitig haben gesetzliche Entscheidungen deutliche Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung der zahnärztlichen Berufsausübung bereits niedergelassener Zahnärzte.

Das heißt konkret?

Oesterreich: In der IDZ-Publikation „Rollenverständnis von Zahnärzten und Zahnärztinnen in Deutschland zur eigenen Berufsausübung – Ergebnisse einer bundesweiten Befragungsstudie“ aus dem Jahre 2010 wird dargelegt, dass die Anstellung von Zahnärzten bei Planungsüberlegungen zum Ausbau der eigenen zahnärztlichen Tätigkeit favorisiert wird. Somit besitzen einerseits die niedergelassenen Zahnärzte ein Interesse an Anstellungen sowohl von Zahnärztinnen und Zahnärzten. Andererseits kommt dieses Interesse auch den Vorstellungen der jungen Zahnärztegeneration entgegen, die sowohl ihre fachliche Entwicklung als auch die Schritte in die zahnärztliche Berufsausübung unter einer Supervision anstreben, entgegen.

Stichwort „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ – wie wichtig ist das jungen Zahnärzten?

Oesterreich: Weitere Erklärungen für die Zunahme von Anstellungen ist sicherlich die veränderte Work-Life-Balance der jungen Zahnärztegeneration, aber auch die verständliche Suche nach der richtigen Berufsausübungsform für die eigene berufliche Zukunft. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Belastung durch eine Praxisgründung, der zunehmend schwierigeren Rahmenbedingungen für den Berufsstart und der damit einhergehenden langfristigen Entscheidungsbindung sind diese Entwicklungen innerhalb des Berufsnachwuchses nachvollziehbar.

Ist das schon durch Zahlen belegt?

Oesterreich: Zukünftig wird es mit Hilfe unserer Statistik möglich sein, die Veränderungen bei den Karriereverläufen oder den Praxisstrukturen genauer zu untersuchen. Dabei gilt es beispielsweise zu klären, inwieweit Angestelltenverhältnisse in eine Partnerschaft oder Niederlassung münden, oder generell die eigene Niederlassung im Berufsverlauf nur nach hinten verlagert wird. Weitere wichtige Erkenntnisse wird das IDZ-Projekt „Berufsbild angehender und junger Zahnärzte“, welches sich in der ersten Phase an die Studenten, in den weiteren Phasen an die Assistenten bzw. Angestellten Zahnärzte mit einem gezielt entwickelten Fragebogen richtet. Diese Querschnittserhebungen ermöglichen eine Momentaufnahme zum Berufsbild, welches allerdings durch eine longitudinale Begleitung gezielter Teilnehmer aus der Studentengruppe zukünftig genauer verifiziert werden können.

Es gibt immer mehr weibliche Zahnärzte, gleichzeitig arbeiten die Frauen bevorzugt im Angestelltenverhältnis – wird es langfristig also immer mehr Angestellte und immer weniger Niedergelassene geben?

Oesterreich: Der Trend zu einer Zunahme der Angestelltenverhältnisse ist in den vorliegenden Statistiken eindeutig beschrieben. Unabhängig hiervon belegen jedoch die Erkenntnisse zur Berufssozialisation der Zahnärztinnen und Zahnärzte, dass diese ihre Berufsausübung, unabhängig von der gewählten Berufsausübungsform, klar in einer Niederlassung sehen. Die Erkenntnisse zur „Investition bei der zahnärztlichen Existenzgründung 2013“ (IDZ-Information 2/14) machen deutlich, dass im Hinblick auf die Art der Existenzgründung die Übernahme der Einzelpraxis seit vielen Jahren (2013 – 68%) die vorherrschende Form ist. Neugründungen von Einzelpraxen sind deutlich rückläufig und 2013 unter 10 Prozent. Berufsausübungsgemeinschaften lagen im Jahr 2013 bei insgesamt 24 Prozent.

Heißt das, dass die Niederlassung nur verschoben, aber nicht verworfen wird?

Oesterreich: Tendenziell lässt sich im zeitlichen Verlauf der zahnärztlichen Existenzgründungen feststellen, dass sich das Alter der Existenzgründer nach hinten verschiebt, also die Existenzgründer älter werden. So waren im Jahr 2008 noch weit über 20 Prozent der Existenzgründer unter 30 Jahre und nur 15 Prozent über 40 Jahre alt. Im Jahre 2013 lag dagegen die Altersgruppe unter 30 Jahren bei 11 Prozent und die Gruppe über 40 Jahren bei 21 Prozent.

Gleichzeitig weist die Anzahl von Berufsausübungsgemeinschaften seit vielen Jahren einen konstanten Wert auf und bietet hinsichtlich der Geschlechterverteilung keine Unterscheide für Präferenzen durch Zahnärzte oder Zahnärztinnen. Insgesamt darf zu diesem Zeitpunkt durchaus festgestellt werden, dass sich die Zahnärzte bei ihrer berufssoziologischen Entwicklung über die Notwendigkeit der Berufsausübung in einer Niederlassung auch im Vergleich zu anderen medizinischen Berufsgruppen nach wie vor sehr deutlich im Klaren sind.

Die „zweite Welle“ der Angestelltentätigkeit ist bei männlichen Zahnärzten im Rentenalter. Hängt das mit „Praxisabgabe-Fällen“ zusammen, wo Zahnärzte nach Praxisverkauf als Angestellte in ihrer eigenen Praxis weiterarbeiten?

Oesterreich: Richtig ist, dass die Angestelltentätigkeit bei männlichen Zahnärzten mit Beginn des Renteneintrittsalters zunimmt. Zahnärztinnen hingegen weisen in dieser Lebensphase keinerlei Angestelltenverhältnisse auf und geben offensichtlich ihre Praxistätigkeit vollständig auf. Bei den Zahnärzten ist es sicherlich ein Erklärungsmodell, dass im Hinblick auf die Praxisabgabe ein zeitweises Anstellungsverhältnis bei dem Praxiskäufer offensichtlich im Interesse beider bevorzugt wird.