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Budgetkürzungen stellen Erfolge zahnärztlicher Prävention in Frage

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat Anfang Juli einen Gesetzentwurf zur Stabilisierung der Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) vorgelegt. Das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) umfasst unterschiedliche Maßnahmen zur Minderung der Finanzierungslücke der Gesetzlichen Krankenversicherungen.



Vorgesehen ist eine strikte Budgetierung aller konservierenden und chirurgischen Leistungen inklusive der Leistungen für die neue PAR-Behandlungsstrecke. Diese Budgetierung stellt den Stellenwert präventiver Leistungen, wie er durch die leistungsgerechte Honorierung der PAR-Behandlungsstrecke erst 2021 geschaffen wurde, wieder in Frage und geht zu Lasten anderer präventiver und minimal-invasiver Leistungen, welche richtungsweisend und ausschlaggebend für den Zahnerhalt und die Allgemeingesundheit unserer Patient*innen sind.

Der DGZ-Verbund lehnt daher den Referentenentwurf des BMG zum GKV-FinStG im Bereich der präventiven und konservierend-chirurgischen Leistungen entschieden ab. Im Einvernehmen mit seinen Verbundpartnern DGPZM, DGR²Z und DGET richtet sich der DGZ-Verbund mit nachfolgender Stellungnahme an die politischen Entscheidungsträger.

„Wir erhalten Ihre Zähne“ – Stellungnahme der DGZ mit DGPZM, DGR²Z und DGET zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG)

Die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) im Verbund mit der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), der Deutschen Gesellschaft für Regenerative und Restaurative Zahnmedizin (DGR²Z) und der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und Traumatologie (DGET) sieht sich der Prävention, der Kariesprophylaxe, der minimalinvasiven Zahnerhaltung und dem langfristigen Erhalt der eigenen Zähne ihren Patient*innen verpflichtet. Die DGZ zählt mit über 3.300 Mitgliedern zu einer der größten zahnmedizinischen Fachgesellschaften in Deutschland und repräsentiert neben vielen niedergelassenen Kolleg*innen vor allem die einschlägigen Fachabteilungen der Universitäten. Im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Aus- und Weiterbildung, der Forschung und der Versorgung von Patient*innen sieht sich die DGZ in der Pflicht, auch unaufgefordert Stellung zu dem Referentenentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG1)) zu nehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung lehnt den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (GKV-FinStG) zur Kostenminimierung im Bereich der präventiven und konservierend-chirurgischen Leistungen in den Jahren 2023 und 2024 vehement ab.

Der Referentenentwurf zum GKV-FinStG, der kurz vor der Sommerpause veröffentlicht wurde, sieht vor dem Hintergrund der Defizite der GKV unter anderem eine strikte Budgetierung der Gesamtvergütung zahnärztlicher Leistungen (ohne Zahnersatz) mit einer Begrenzung der Punktwertsteigerung in den Jahren 2023 und 2024 (§ 85) vor. Der Budgetierung sollen alle konservierenden und chirurgischen Leistungen unterliegen, die nicht durch den § 22 SGB V (Individualprophylaxe), §22a SGB V (Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen) und §26 Abs.1 Satz 5 SGB V (zahnärztliche Präventivuntersuchungen bis einschließlich zum 6. Lebensjahr) erfasst werden, darunter auch die in 2021 neu verabschiedete PAR-Behandlungsstrecke, ohne dass es zu einer Erhöhung der Budgetierung respektive der Obergrenze der Gesamtvergütung kommt. Es entsteht nun der Eindruck, dass seitens des BMG und des G-BA kurzfristig – nachdem ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung der Förderung präventiver Maßnahmen (PAR-Behandlungsstrecke) implementiert wurde – aufgrund der im Raum stehenden Defizite der GKV wieder zurückgerudert wird. Der Referentenentwurf zum GKV-FinStG impliziert, dass das Zugeständnis an die Prävention im Rahmen der PAR Behandlungsstrecke nun über die Budgetierung refinanziert werden soll. Dies geschieht dann allerdings auf Kosten aller konservierend-chirurgischen Leistungen, die den langfristigen Zahnerhalt sichern. Leidtragende dieser Entwicklung sind am Ende leider unsere Patient*innen.

Wir begrüßen die Erkenntnis der Bundesregierung und des G-BA, dass der Prävention nun zumindest auf dem Gebiet der Parodontologie mit einer leistungsgerechten Honorierung endlich ein gebührender Stellenwert eingeräumt wurde. GKV Patient*innen werden mit dieser Behandlungsstrecke nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt. Hierfür wurden im Einvernehmen mit der Politik im G-BA bis zu 1 Milliarde Euro pro Jahr zusätzlich vorgesehen. Diese zusätzliche Summe soll jetzt, schon bevor die neue, auf einen langfristigen Zeitraum (Therapie und zweijährige Nachsorge) ausgelegte Behandlungsstrecke überhaupt greifen konnte, in das zu reduzierende Gesamtbudget eingehen. Wir weisen mit Nachdruck darauf hin, dass dies nicht zu Lasten anderer präventiver und minimal-invasiver Leistungen geschehen darf, welche richtungsweisend und ausschlaggebend für den Zahnerhalt und die Allgemeingesundheit unserer Patient*innen sind. Die neue PAR-Behandlungsstrecke ist nur ein Baustein der zahnärztlichen Prävention und kommt dann zum Tragen, wenn bereits erhebliche Schäden am stomatognathen System entstanden sind, verhindert oder prolongiert im Erwachsenenalter weitere Schäden und trägt so langfristig natürlich zur Schadensabwehr und zum Zahnerhalt bei. Der Gedanke der Prävention zielt jedoch auf sämtliche zahnärztliche Maßnahmen, die der Vermeidung von Erkrankungen im Mund-Rachenraum dienen, und berücksichtigt darüber hinaus die Modulierung von den Gesamtorganismus betreffenden systemischen Erkrankungen.

In den letzten Jahren haben die innovativen Weiterentwicklungen des konservierenden Therapiespektrums (z.B. breite Indikation Adhäsivtechnik, Kariesinfiltration) letztlich zu einer Kostenreduktion im Bereich von Zahnersatz geführt: Nach der Aufhebung der strikten Budgetierung der Gesamtvergütung im Jahr 2011 wurde die Steigerung der Gesamtvergütungen mit inhaltlichen Kriterien verbunden, wie z.B. der Morbiditätsentwicklung und der Zahl und Struktur der Versicherten. Dennoch hat sich der Gesamtanteil der zahnärztlichen Versorgung an den GKV-Gesamtausgaben von knapp 15% im Jahr 1980 auf inzwischen nur 6,25% im Jahre 2021 verringert. Das spiegelt den Erfolg der präventiven und restaurativen Zahnerhaltung wider, wie die Daten der Deutschen Mundgesundheitsstudie V (DMS V2)) zeigen. Mit dem vorgestellten Referentenentwurf werden diese wirtschaftlichen und bevölkerungs-gesundheitlichen Erfolge in der Zahnerhaltung in Frage gestellt.

Mit der Einbeziehung der PAR-Behandlungsstrecke in den Kontext der konservierend-chirurgischen Leistungen ohne Anpassung der Budgetierung respektive Obergrenze der Gesamtvergütung stellt sich vor dem Hintergrund der beabsichtigten Deckelung bei dem zu erwartenden Kostenrahmen, den die PAR-Behandlungsstrecke beanspruchen wird, die Frage, wie alle anderen zahnerhaltenden Maßnahmen in Zukunft finanziert werden sollen. Welcher Raum bleibt noch für Prävention oder für präventiv-orientierte Therapien?

Prävention ist nicht nur dann sinnvoll, wenn die Progression einer bestehenden Erkrankung verhindert oder zumindest minimiert wird, sondern insbesondere dann, wenn es wie in der DMS V eindrucksvoll gezeigt werden konnte, gelingt, Krankheiten des stomatognathen Systems erst gar nicht entstehen zu lassen.

Eine Einbeziehung der Kosten für die unterstützende Parodontaltherapie, der Erhaltungstherapie nach der PAR-Behandlung, in das allgemeine konservierend-chirurgische Budget führt zu einer drastischen Reduktion der für die Prävention und minimalinvasiven Maßnahmen bei Jugendlichen, aber auch der im Erwachsenenalter zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Die auf Grundlage der PAR-Richtlinie des G-BA erbrachten Leistungen, d.h. die von den Krankenkassen genehmigten parodontologischen Behandlungsleistungen müssen, wie im G-BA vereinbart, aus der Budgetierung der vertragszahnärztlichen Gesamtvergütung herausgenommen werden. Dies wäre systemkonform zu den Ausnahmeregelungen der Leistungen wie sie z.B. im §85Abs. 3aSGB V-refE Erwähnung finden (§§22, 22a, 26 Abs. 1 Satz 5 SGBV).

Die Deckelung der konservierend-chirurgischen Leistungen lässt weitere Szenarien offen. Wenn das Budget einmal erreicht ist, ist es unausweichlich, auf invasivere, weniger zahnerhaltende Therapiemaßnahmen zurückzugreifen, die nicht der Budgetierung unterliegen. Dies hat eine unkalkulierbare Kostensteigerung zur Folge, da neben dem zahnärztlichen Honorar auch noch zusätzliche Laborkosten generiert werden. Die Wertschätzung und die heute messbaren Erfolge von Prävention und Zahnerhaltung werden damit massiv in Frage gestellt. Gegenüber invasiveren, kostenintensiveren Therapien (indirekte Restaurationen) könnten zahnerhaltend orientierte Therapien ins Hintertreffen geraten – mit einem zu erwartenden, negativen Effekt auf die Kostenentwicklung. Dieses Vorgehen entspricht nicht dem Grundgedanken der Zahnerhaltung, dem sich die DGZ mit den Verbundgesellschaften DGPZM, DGR²Z und DGET verpflichtet fühlen. Die Konsequenzen sind wie bereits erwähnt:

  • Für Patient*innen ein schnelleres Voranschreiten des „restoration/re-restoration cycle“ mit ggf. frühzeitigerem Zahnverlust durch nicht notwendige, invasivere Behandlungsmaßnahmen,
  • höhere Kosten für Patient*innen und GKV,
  • Erhöhung der zahntechnischen Kosten.

Demzufolge wird durch eine übermäßige Kostenreduktion durch die Budgetierung präventiver und zahnerhaltender Leistungen durch die schnelle Ausschöpfung des Budgets unter Umständen einer Explosion der nicht-budgetierten, invasiveren und kostenintensiveren Therapien Tür und Tor geöffnet.

Die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), gemeinsam mit DGPZM, DGR²Z und DGET muss daher den Referentenentwurf zur GKV-FinStG aus den oben aufgeführten Gründen mit Nachdruck ablehnen. Sie fordert die Herausnahme der erst 2021 eingeführten Leistungsumfänge (PAR-Behandlungsstrecke) aus dem konservierend-chirurgischen Budget, da dies zu Lasten der frühzeitig präventiven und zahnerhaltend ausgerichteten Versorgung der Bevölkerung gehen würde. Bedenkt man die Konsequenzen der Durchsetzung des Referentenentwurfs zum GKV-FinStG, sollte man sich auch vor Augen führen, dass nach Daten aus 2021 (VDEK) insgesamt 87% der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert sind und von den Einschränkungen bezüglich ihrer Zahngesundheit betroffen sein werden.

 

 

1)   Referentenentwurf des BMG v. 30.06.2022 http://www.portal-sozialpolitik.de/index.php?page=GKV-FinStG

2)   Jordan, A.R. und Micheelis, W., Hrsg., Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V), IDZ-MaterialienreiheBd. 35 (2016), Deutscher Zahnärzteverlag, Köln.